Bad Nauheim Sprudelhof Großer Sprudel
Architekten und Künstler

Jugendstil in Bad Nauheim – Wilhelm Jost erzählt

Der nachfolgende Text über die Neubauten der Kuranlagen und den Jugendstil in Bad Nauheim wurde im Jahr 1909 von Wilhelm Jost, dem Architekten von Sprudelhof, Trinkkuranlage, Jugendstiltheater und Inhalatorium selbst veröffentlicht.
Ausführlich beschreibt Jost wie es zum Neubau kam und was alles neu erbaut wurde, um das kleine Kurbad Bad Nauheim zum Weltbad zu machen. Technik und Kunst waren dabei eng verflochten.

Wilhelm Jost Architekt Bad Nauheim Sprudelhof
Der Kopf von Wilhelm Jost findet sich im Sprudelhof in Bad Nauheim – bis heute betrachtet er von oben sein Werk
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

„Bad Nauheim ist das Endglied einer Bäderkette, die sich in dem quellenreichen Becken zwischen Taunus und Vogelsberg hinzieht. Es nimmt unter den Badeorten infolge der Reichhaltigkeit und Zusammensetzung seiner warmen Quellen eine hervorragende Stellung ein. Sämtliche Badeeinrichtungen mit allen betrieben und das Kurhaus sind staatliches Eigentum und werden von staatlichen Behörden, der Großh. Badedirektion und dem Großh. Kurdirektor verwaltet.
Wenn auch das Vorhandensein von Salz schon früher bekannt war und die ‚Saline‘ auf eine alte Geschichte zurückblicken kann, so tritt das ‚Bad‘ doch erst im Jahre 1835 in Erscheinung, nämlich mit der Eröffnung eines Solbadehauses mit 9 Badezellen. 1850 folgte dann die Erbauung des Badehauses I, 1853 die des Badehauses II, beide mit je 30 Zellen. 1866 wurde Badehaus III mit 45 Zellen errichtet, 1888 Badehaus IV mit 41 Zellen, 1892 Badehaus V mit 54 Zellen, 1897 Badehaus VI mit 60 Zellen und endlich 1901 Badehaus VII mit 20 Zellen. Trotz dieser ständigen Vergrößerung reichten schon im Jahre 1903 die vorhandenen Häuser nicht mehr aus.
Auf Grund eingehender Erwägung der leitenden Stellen entschloß sich das Großh. Ministerium, an eine weitere, diesmal aber erheblichere Vergrößerung der Badeanlagen nach einem einheitlichen Gedanken heranzutreten und faßte gleichzeitig auch die Verbesserung und Neugestaltung aller Kuranlagen ins Auge. Das Ergebnis dieser Erwägungen war eine Vorlage der Großh. Regierung an die Landstände vom 15. Juni 1904, aus deren Begründung hier folgendes angeführt sei:


Großherzog Ernst Ludwig
Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein –
Foto: Jacob Hilsdorf 1905 – gemeinfrei

Großherzog Ernst Ludwig und das neue Bad Nauheim

Wilhelm Jost zitiert an dieser Stelle in seinem Text ausführlich die Vorlage, die Großherzog Ernst Ludwig und seine Regierung den Landständen vorlegten. Die Vorlage beschäftigt sich mit allen Teilbereichen der Neuplanung. So werden die Badeanlagen ebenso beschrieben wie die Dienstwohnungen oder auch die Technik und die Freizeiteinrichtungen:

‚In erster Linie muß die Zahl der zur Verfügung stehenden Bäder vermehrt werden. Schon in den letzten Jahren waren Kurgäste gezwungen, zur Zeit des stärksten Besuchs vier bis fünf Stunden auf ein Bad zu warten, ein Mißstand, der baldiger Abhilfe dringend bedarf. Ferner befinden sich die noch unter der kurhessischen Regierung errichteten Badehäuser Nr. I, Nr. II und Nr. III in einem so schlechten baulichen Zustande, daß es nicht gerechtfertigt erscheint, jährlich noch größere Beträge für Wiederherstellungsarbeiten an denselben aufzuwenden; außer der Vermehrung der Badezellen müssen daher auch Ersatzbauten für die genannten Badehäuser zur Ausführung kommen.‘


ursprünglicher Plan Neubau Sprudelhof Bad Nauheim - Wilhelm Jost
Ursprünglicher Plan für den Neubau des Sprudelhofs in Bad Nauheim –
Wilhelm Jost: Die Neuanlagen von Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 1 (1909) S. 4

Hinter den Kulissen

Die Badehäuser sind das, was der Kurgast sieht. Doch sie benötigen eine Technik dahinter und vor allem auch Menschen dahinter, um die man sich bei der Planung ebenfalls kümmerte:

‚Da sich zur Zeit die Dienstwohnungen des Vorstandes der Badedirektion, des Kurdirektors und des Bademeisters in dem abzulegenden Badehaus Nr. III befinden, so ist weiter in Aussicht genommen, vor den Badehäusern an der Ludwigstraße, gegenüber der Bahnhofstraße, zwei Verwaltungsgebäude zu errichten, die im Untergeschoß die Kassenräume und die Geschäftszimmer der Badedirektion und des Tiefbauamts enthalten und darüber die Wohnungen für den Vorstand der Badedirektion und den Kurdirektor aufnehmen sollen. In dem eigentlichen Badegebäude sind noch einige weiter notwendige Dienstwohnungen vorzusehen. Es ist ferner dabei noch eine Umgestaltung der Sprudelumbauungen entworfen, da für die jetzigen, nur als vorübergehende Einfassungen errichteten Holzbauten eine der Bedeutung der Sprudel für das Bad angemessene baukünstlerische Anlage geschaffen werden muß.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Errichtung der Badeanlage sind noch eine Anzahl weiterer Bauten auszuführen. So muß für den baufälligen Badeabwasserkanal ein Ersatz geschaffen werden, die vorhandenen Thermal- und Thermalsprudel-Wasserbehälter sind für die zu erwartende größere Bäderabgabe zu ergänzen, an dem von den Sprudeln entfernt liegenden Badehaus IV sollen die schon lange entbehrten Anwärmebassins für Sole angelegt werden und der Sprudel XII bedarf einer Neuverrohrung, ehe die Umfassung endgültig gestaltet wird.‘


Neue Anlagen für die Kurmusik in Bad Nauheim

Der weitere Text der Vorlage macht deutlich wie wichtig gerade auch Freizeit und Vergnügen für die Kurgäste der damaligen Zeit waren. Es reichte eben nicht nur schöne neue Badeanlagen zu haben, denn der Kurgast kam auch, um etwas zu erleben. Es brauchte ein modernes Kurhaus und ausreichend musikalische Angebote:

‚In gleicher Weise, wie die vorhandenen Badeanlagen vergrößert werden müssen, ist mit Rücksicht auf die stetig steigende Besucherzahl auch für eine Erweiterung und Umgestaltung der Kurhausterrasse Sorge zu tragen. Dabei soll für den unzweckmäßigen und mangelhaften Musiktempel Ersatz geschaffen und es soll ferner ein Saal errichtet werden, worin bei kühlen Tagen und bei ungünstiger Witterung die Konzerte stattfinden können. Ein solcher Saal wurde schon seit Jahren entbehrt. Der Musiktempel, der gleichzeitig einen Ersatz für den in eine neueröffnete Straße gefallenen, bisherigen Proberaum für die Kurmusik enthalten muß, und der Saal sollen an die nördliche Seite des Kurhauses angegliedert und mit ihm durch gedeckte Gänge, die dem Wirtschaftsbetrieb dienen können, in Verbindung gebracht werden.‘


Innenstadt Bad Nauheim
Parkstraße Bad Nauheim um 1900 – scherzhaft auch “Hypotheken-Allee” genannt
historische Postkarte

Bad Nauheim und die „Überspekulation“

Nicht umsonst nennen die Bad Nauheimer die Parkstraße noch heute scherzhaft „Hypothekenallee“. Kaum, dass das Kurbad gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Mode kam und sich die hochrangigen Gäste die Klinken in die Hand gaben, da kamen auch die, die hier unbedingt dazugehören wollten:

‚Die Bautätigkeit war in Bad Nauheim infolge einer starken Überspekulation in den letzten Jahren etwas ins Stocken geraten; sie beginnt sich jedoch aufs neue zu regen, so daß an das Großh. Tiefbauamt wiederholt Anfragen wegen der Überlassung von Bauplätzen auf dem staatlichen Gelände gerichtet wurden und auch bereits Verkäufe stattgefunden haben.
Als ganz besonders geeignet für die Weiterentwicklung von Bad Nauheim erscheint das gegenwärtig von der Saline eingenommene Gebiet von dem Ernst-Ludwig-Ring ab bis an die Gradierwerke auf der rechten Usaseite. Dieses Baugelände schließt an den Parkteil des Kurbrunnens und des Karlsbrunnens an, enthält den Neubau der Reichspost, liegt landschaftlich sehr schön und bietet reizvolle Ausblicke nach dem Johannesberg und nach Friedberg. [Von den jetzt hier liegenden, dem Abbruch verfallenen alten Salinengebäuden, die überaus malerische Gruppen bilden, fügen wir einige Abbildungen bei. Soweit sie baulich in einigermaßen gutem Zustand sind, wurden sie in den Bebauungsplan aufgenommen.]‘


Kolonnaden Bad Nauheim mit Tennis-Café
Die von Jost entworfenen Kolonnaden von Bad Nauheim mit Tennis-Café –
historische Postkarte

Eine neue Trinkhalle und Kolonnaden

Nicht nur Badekuren gab es in Bad Nauheim für die die warmen Sprudelquellen genutzt wurden, sondern eben auch kalte Mineralquellen. Diese wurden schon früh für Trinkkuren genutzt, die besonders gastroenterologische Wirkung hatten:

‚Zwischen dem Parkteil am Kurbrunnen und dem Ernst-Ludwig-Ring liegt noch die alte eiserne, den Bedürfnissen des hier sehr lebhaften Verkehrs nicht mehr entsprechende Trinkhalle sowie die Gärtnerei und eine kleine alte Dienstwohnung.
Um das Salinengelände dem Verkehr eröffnen zu können und es erst wirklich wertvoll zu machen, ist es notwendig, die Bauten zu beseitigen und dafür Neuanlagen zu schaffen. Bei der Entwurfsbearbeitung zeigte es sich ferner als erwünscht, für den vor einigen Jahren abgelegten alten Kursaal ein neues Kaffeerestaurant zu errichten, ferner in Verbindung mit den erheblich zu erweiternden Wandelgängen Verkaufsläden anzulegen, da der demselben Zweck dienende Holzbau an der Parkallee bedeutende Unterhaltung erfordert und den Bedarf nicht mehr deckt, und endlich den alten, unzureichenden Musiktempel zu ersetzen.
Um für die Kolonnaden Platz zu schaffen, sind die Gärtnerei und die Gewächshäuser an anderer Stelle zu errichten; sie sollen im Nordosten des Parks ausgeführt werden.‘


alte Saline Bad Nauheim
Die alte Saline von Bad Nauheim –
historische Postkarte

Die Technik hinter dem Kurbad

‚Die Bereitstellung des jetzigen Salinengeländes zu Bauzwecken bedingt ferner die Verlegung der Saline. Diese Verlegung bietet außerdem die Vorteile, daß an Stelle der jetzt in verschiedenen auseinanderliegenden Gebäuden untergebrachten Betriebe eine einheitliche zusammenhängende Anlage geschaffen wird, daß dabei alle neuen Einrichtungen zur Anwendung kommen können und daß endlich die Heizungen für den Verbrauch von Preßsteinen der staatlichen Grube Ludwigshoffnung eingerichtet werden. Als Bauplatz ist das Gelände östlich der Bahn und südlich vom Goldstein neben der alten, außer Betrieb liegenden Ziegelei in Aussicht genommen.
Mit der steigenden Bäderzahl wächst der Verbrauch der Badewäsche. Es erscheint dringend geboten, diesen Betrieb in eigene Verwaltung zu übernehmen, selbst wenn in den ersten Jahren etwas größere Unkosten daraus entstehen sollten, und ihn mit den Aufbewahrungsräumen für die Wäsche und einer allen Anforderungen der Gesundheitspflege entsprechenden Desinfektionsanstalt in einem Gebäude zu vereinigen. Dieses Gebäude soll ebenfalls auf dem Goldstein in unmittelbarer Nähe der Saline errichtet werden.
Bei Erbauung der neuen Badeanlagen muß Vorsorge getroffen werden, daß bei kühler Witterung eine ausreichende Heizung der einzelnen Zellen erfolgen kann; außerdem sollen Trockenvorrichtungen für die Badeteppiche aufgestellt werden, und es ist stets warmes Wasser zu bereiten. Wollte man den hierzu nötigen Dampf im Gebiet der Badehäuser erzeugen, so wäre hier auf dem ohnehin sehr beschränkten Raum eine große Kesselanlage mit einem hohen Schornstein zu errichten, was den baukünstlerischen Eindruck stören würde; auch dürfte ein solcher Schornstein zu Klagen über Rauch- und Rußbelästigung im Park Veranlassung geben.
Ferner genügt das vorhandene Elektrizitätswerk nicht mehr für die gegenwärtige Belastung. Eine Maschinenreserve ist bei ihm nicht vorhanden, so daß bei einer Betriebsstörung an einer Maschine oder an der Akkumulatorenbatterie die Beleuchtung des Kurhauses und des Parks in ausreichender Weise nicht möglich ist. Bei dem großen Kraftbedarf für die staatliche Verwaltung ist die Errichtung eines größeren Elektrizitätswerks umsomehr geboten, als sich dadurch die Ausnutzung der ohnehin erforderlichen Kessel erheblich günstiger gestaltet.
Weiter muß die Eisfabrik mit ihrem Kraftbedarf verlegt werden, da sie nach dem am 1. April 1904 erfolgten Übergang des Wasserwerks an die Stadt nicht länger in Verbindung mit diesem betrieben werden kann, wie es bisher der Fall war.
Endlich erfordert der Betrieb der Dampfwaschanstalt auf dem Goldstein Kraft und Wärme.
Alle diese Erwägungen lassen es geboten erscheinen, auf dem Goldstein in der Nähe der Dampfwaschanstalt und der Saline eine einheitliche Maschinenanlage zu beschaffen. Diese Maschinenanlage muß daher enthalten: ein Fernheizwerk, ein neues Elektrizitätswerk, das auch die zum Betrieb der Dampfwaschanstalt erforderliche Kraft liefert, und eine neue Eisfabrik sowie Wohnungen für einen Maschinisten und einen Heizer.
Auf dem Goldstein sind weiter noch ein Dienstgebäude und einige Wohnhäuser vorgesehen, nämlich ein Rentamt und Dienstwohnungen für einen Siedemeister, einen Werkmeister, zwei Steueraufseher und zwei Parkaufseher.‘

Soweit der Inhalt der Vorlage.


Carl Eser
Karl Eser – verewigt im Sprudelhof von Bad Nauheim
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Wilhelm Jost und die anderen

Klar ist, dass ein solches Mammutprojekt nicht von einem Mann alleine gestemmt werden konnte. Wilhelm Jost war zwar, als er die Arbeiten in Bad Nauheim in Angriff nahm, jung und voller Energie, aber das alles hätte er dennoch nie alleine bewältigen können.
Er war auch nicht allein: schon zu Beginn gab man ihm für verschiedene Teilbereiche andere Männer an die Seite. Wer an den einzelnen Teilbereichen beteiligt war, das beschreibt Jost im Folgenden:

„Die Bearbeitung der zu dieser Vorlage gehörigen Entwürfe für die Hochbauten war mit Ausnahme derjenigen für die Trinkkuranlage und die Waschanstalt, die beide im bautechnischen Bureau des Großh. Ministeriums der Finanzen aufgestellt wurden, dem Großh. Bauinspektor Jost übertragen, der bis zur Begründung einer besonderen Baubehörde für die Neubauten in Bad Nauheim im Jahre 1905 dem Großh. Hochbauamt Friedberg unterstellt war. Den tiefbautechnischen Teil und die besonders umfangreichen und schwierigen Installationen wurden unter Leitung des Großh. Geheimen Baurats Dr. Eser, Vorstand des Großh. Tiefbauamts und der Großh. Badedirektion Bad Nauheim, bearbeitet.“


Bad Nauheim Sprudelhof Jugendstil
Bad Nauheim Sprudelhof mit Blick auf Johannisberg
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Die 4 Arten der Neuanlagen von Bad Nauheim

„Die Neuanlagen zerfallen nach ihrer Zweckbestimmung in vier Gruppen:
1. Die neue Badeanlage, enthaltend etwa 300 Badezellen bezw. Wannen, die in sechs im Betrieb getrennten, durch Wandelhallen aber verbundenen Gebäuden untergebracht sind. Die Hallen umgeben den Sprudelplatz auf drei Seiten und öffnen sich auf der westlichen Seite nach dem Park, während nach Osten zu die beiden höher gelegenen Verwaltungsgebäude einen Abschluß bilden. Auf die Einzelheiten kommen wir später bei Beschreibung der Anlage zurück. Die Kosten der ersten Gruppe waren veranschlagt zu 3 531 130 Mark.
2. Trinkhallen mit Kolonnaden, bestehend aus einer ausgedehnten in großem Hufeisen angelegten Wandelhalle mit etwa 20 Verkaufsläden und den Räumen für die Trinkkur. Die Kosten sind veranschlagt zu 670 000 Mark.
3. Die Anlagen am Kurhaus, nämlich neuer Konzertgarten nördlich vom Kurhaus, auf drei Seiten begrenzt durch Steinlauben mit reichlichen, gedeckten Sitzplätzen, auf der vierten Seite durch eine offene Pergola, in deren Mitte der neue Musiktempel steht. Ihm gegenüber, hinter den Steinlauben nach Westen zu, ist der Konzertsaal geplant. Dazu kam eine neue Vorterrasse mit Treppenaufgang. Die Kosten waren veranschlagt zu 470 200 Mark.
4. Die Betriebsgelände, nämlich a) Elektrizitätswerk mit Fernheizwerk und Eisfabrik, einschl. des Fernheizkanals von etwa 400 m Länge und aller Maschinen und Möbelanschaffungen sowie zweier Wohnungen, auf 983 400 Mark veranschlagt; b) Waschanstalt mit Maschinen und Möbeln und zwei Wohnungen, zu 260 000 Mark veranschlagt; c) Saline mit allem Zubehör, auf 356 270 Mark veranschlagt; d) Gärtnerei mit Wohnung, zu 73 000 Mark veranschlagt; e) besondere Beamtenwohnhäuser und Zollamt, soweit sie nicht in den vorgenannten Gebäuden eingebaut sind, mit Kanalisation, zu 152 000 Mark veranschlagt.
Hierin sind eine Reihe von tiefbautechnischen Anlagen enthalten, die mit den Hochbauten in weniger engem Zusammenhang stehen und uns hier nicht näher beschäftigen sollen.“


Eingang Trinkkuranlage Bad Nauheim Ernst-Ludwig-Ring
Eingang zur Trinkkuranlage in Bad Nauheim vom Ernst-Ludwig-Ring
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bad Nauheimer Neuanlagen und die Kosten

Es hatte lang gedauert, doch es gelang die Landstände vom Mammutprojekt Bad Nauheim zu überzeugen. Es ist umso erstaunlicher, wenn man sich die enormen Summen anschaut, die von Nöten waren, um das Projekt umzusetzen und die Wilhelm Jost hier nennt:

„Insgesamt schloß die oben erwähnte, den Landständen eingereichte Vorlage mit einem Betrag von 6496 000 Mark ab, deren Verzinsung und Tilgung durch Verkauf des staatlichen Salinengeländes und durch die Einnahmen des Kurbetriebs als gesichert angesehen wurden. Die Vorlage fand nach vorheriger Genehmigung durch die zweite Kammer am 29. Dezember 1904 auch die Zustimmung der ersten Kammer, und schon am 2. Februar 1905 konnte mit den Arbeiten begonnen werden. Die ersten Gebäude, nämlich der Musiktempel mit anschließenden Hallen und der neuen Vorterrasse, mit einem Kostenaufwand von ungefähr 200 000 Mark, wurden bereits am 1. Mai 1905, d. h. mit Beginn der Kurzeit in Betrieb genommen. Seitdem folgen die übrigen Anlagen je nach Bedürfnis, und es werden mit jedem Jahre neue Teile fertiggestellt.“


Modell der Badeanlagen von Bad Nauheim
Abbildung 8 aus Wilhelm Jost: Die Neuanlagen von Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 1 (1909) S. 5

Der Gesamtlageplan des Bades

„Im einzelnen hat sich, wie erklärlich, das oben skizzierte Bauprogramm vielfach geändert, und die ursprünglichen Entwürfe mußten teilweise mehrfach umgearbeitet werden. Da diese verschiedenen Bearbeitungen schwerlich eine allgemeine Beachtung erwecken dürften, sei darauf nicht weiter eingegangen. Wir geben heute einen Gesamtlageplan des Bades, einen Lageplan der Badeanlage sowie eine Abbildung des hierzu angefertigten Modells.
Erläuternd sei bemerkt: Von den im Osten der Stadt gelegenen Bahnhofe führt eine schattige Ulmenallee unmittelbar auf die Sprudel und das Badegebiet. Wie aus Abb. 6 hervorgeht, lag hier das Badehaus III quer zur Richtung der Bahnhofsallee, nicht nur die Sprudel und den Einblick in den Park versperrend, sondern auch den starken Verkehr nach dem Park und besonders dem Kurhaus störend. Durch Entfernung dieses Gebäudes wurde ein freier Blick in das Badegebiet geschaffen. Den Abschluß der Bahnhofsallee bilden die zwei torartig wirkenden Verwaltungsgebäude. Sie weisen auf die Bedeutung dieses Gebiets hin und geben dem Fremden die Möglichkeit, sich leicht zurechtzufinden. Durch die Lücke zwischen beiden Gebäuden erblickt man das Wunder des Bades, die in herrlichem, weißem Schaum aufspritzenden Sprudel, und die alten Baumriesen des Parks, ein Bild, das im Hintergrunde durch den Johannesberg wirkungsvoll abgeschlossen wird.
Eine breite Freitreppe führt den Fremden zwischen beiden Verwaltungsgebäuden in das tiefer liegende Badegebiet, und zwar durch einen Vorhof auf den großen Sprudelplatz. Hier liegen die drei warmen kohlensäurereichen Quellen, die Sprudel VII, XII und XIV, deren Heilkraft jährlich von etwa 30 000 Fremden erprobt wird. In ihnen sind alle Werte in Bad Nauheim begründet, ihnen sollte deshalb bei der Neuordnung der Kur- und Badeanlagen besondere Sorgfalt gewidmet werden. Die ganze Badeanlage bildet in diesem Sinne gewissermaßen eine architektonische Fassung der Quellen.“


Kurhaus Bad Nauheim Terrasse
Die Terrasse am Kurhaus von Bad Nauheim
historische Postkarte

Kurpark und Kurhaus in neuem Glanz

Neben dem eigentlichen „Herzstück“ – den Badeanlagen gab es natürlich auch noch den schon etwa 50 Jahre früher von Heinrich Siesmayer angelegten Kurpark von Bad Nauheim und das dort befindliche Kurhaus.

“Geht man von den Sprudeln weiter in westlicher Richtung, so kommt man über die Usa hinweg nach einem von hohen Kastanien umschlossenen kreisrunden Platz, nach dessen Durchquerung sich dem überraschten Auge auf sanft ansteigender Höhe, jenseit einer weiten, von herrlichen Bäumen umstandenen Rasenfläche das Kurhaus zeigt. Es ist eine Schöpfung aus den Jahren 1864 bis 1866 und ist besonders geschätzt wegen seiner herrlichen Lage und seiner Terrasse. Beim Entwurf der Neuanlagen war man sich dieser Vorzüge bewußt und hat das unvergleichlich schöne Gesamtbild des Kurhauses im Park, wie es durch die Zeit gewissermaßen geheiligt ist, möglichst unverändert gelassen. Der neue Konzertgarten liegt daher nördlich vom Kurhaus, vom Park aus durch Baumgruppen verdeckt.
In nördlicher Richtung etwa fünf Minuten entfernt liegt der „große Teich“ mit dem Teichhausrestaurant. Oberhalb des Teichhauses nach Westen erhebt sich seit diesem Jahr die neue Gärtnerei, mit einer Forstinventarhalle nebst Parkwartwohnung zu einer Gruppe vereinigt, die, auf halber Höhe liegend, eine willkommene Belebung dieses neuen Parkteiles gibt. Weiter, im sogenannten Frauenwald, sollen noch zwei Parkwartwohnungen erbaut werden, gleichzeitig Unterkunfts- und Erfrischungsstätten für die Kurfremden.“


Trinkkuranlage mit Musikmuschel Bad Nauheim
Trinkkuranlage mit Musikmuschel Bad Nauheim
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Molke- und Trinkkur und der Abriss

„Kehren wir zu dem Kurhaus zurück und gehen von da durch die Parkstraße wieder hinunter, so kommen wir an der von Hofmann in Herborn, inmitten des Parks erbauten evangelischen Kirche vorbei nach dem sogenannten Kurbrunnen, einer kalten Kochsalzquelle, die zu Trinkzwecken benutzt wird, ähnlich wie auch der naheliegende Karlsbrunnen, An dieser Stelle sollen die neuen Trinkanlagen entstehen. In zweischiffigen Wandelhallen, in die der Kurbrunnen eingebaut ist und in denen die verschiedenen Wässer zusammengeführt werden sollen, sind reichliche Vorkehrungen für Abgabe der Nauheimer und fremder Mineralwässer, Wärmvorrichtungen, Gurgelräume, eine große Milch- und Molkenkuranstalt und schließlich ein Musiktempel vorgesehen. Von da wieder in der Richtung nach dem hochgelegenen Bahnhof gehend, kommt man zu den jenseit desselben geplanten Betriebsgebäuden, dem Elektrizitäts- und Fernheizwerk, der Waschanstalt, Saline, Zollamt und zu den Wohnungen der dort beschäftigten Beamten. Die Möglichkeit des Gleisanschlusses war für die Lage dieser Gebäude bestimmend. Elektrizitätswerk mit Fernheizanlage und ´Waschanstalt sind bereits im Betrieb, die anderen Gebäude östlich der Eisenbahn Frankfurt-Gießen werden demnächst in Angriff genommen. Von den geplanten Neuanlagen waren bis 1. Mai 1908 außer der eben erwähnten Maschinenzentrale und Waschanstalt noch folgende Teile dem Betrieb übergeben: zwei Verwaltungsgebäude, Badehaus VIII Nord und Süd, Badehaus IX Nord, Badehaus X Nord, Musiktempel mit Steinlauben und terrassenumbau am Kurhaus, Gärtnerei, eine Parktwartwohnung und die Inventarhalle. Abgerissen sind die alten Badehäuser I, III und VII (letzteres ist nach dem nahen Bad Salzhausen versetzt worden), die alte Gärtnerei und die alten Hallen am Kurhaus.
So viel über das Bad und die Umgestaltung der staatlichen Badeanlagen im allgemeinen.
Jost.“[1]


[1] Wilhelm Jost: Die Neuanlagen von Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 1 (1909) S. 2-6.


Jugendstil Plakat Bad Nauheim
Werbeplakat für Bad Nauheim im Jugendstil Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Die Jugendstilanlagen von Bad Nauheim – eine Bilanz

Im Jahr 1911 zog Wilhelm Jost im Zentralblatt der Bauverwaltung eine Bilanz der sechs Jahre währenden Arbeiten und der Neugestaltung Bad Nauheims im Glanz des Jugendstils:

“Abgesehen von der Überbauung der Sprudel, die nach Entwurf des Bildhauers Professor H. Jobst in Darmstadt vom Großherzoglichen Hochbauamt Friedberg gegenwärtig noch ausgeführt wird und die ihrer besonderen Bedeutung wegen für sich besprochen werden muß, ist hiermit das Bauprogramm der Regierung durchgeführt, wie es in Nr. 1 des Jahrgangs 1909 dieser Zeitschrift entwickelt war. Wie im einzelnen bereits erwähnt, hatte dieses Programm zwar verschiedene Änderungen erfahren, der Grundgedanke einer neuzeitlichen Umgestaltung der ganzen Kuranlagen ist jedoch in umfassender und einheitlicher Weise verwirklicht worden, und man kann jetzt schon sagen, daß die Entwicklung des Bades den Männern, die für die Bewilligung der verhältnismäßig großen Mittel eingetreten sind, nämlich dem Vorstand der Großherzoglichen Badedirektion Geheimen Baurat Dr. Eser, dem Referenten in der Ministerialabteilung für die Domänen Verwaltung Geheimen Oberbaurat Schmick und vor allem dem damaligen Finanzminister Dr. Gnauth, recht gegeben hat. Bei Aufstellung der Vorentwürfe im Winter 1903/04 hatte das Bad eine Besuchsziffer von 24 340 Kurgästen mit 357 776 abgegebenen Bädern aufzuweisen, und nach Ablauf von acht Jahren sind diese Zahlen auf 35 000 und 475 000 gestiegen. Mit den Bad Nauheimer Neuanlagen waren aber auch der hessischen Bauverwaltung während einer Reihe von Jahren große Aufgaben gestellt. Die obere Leitung über all diese Neubauten lag bei der Ministerialabteilung für Bauwesen, und zwar in Händen des Geheimen Oberbaurats Professor Hofmann und des leider zu früh verstorbenen Geheimen Oberbergrats Braun. Mehrfach war Gelegenheit, freie Künstler des Landes, meist Mitglieder der Künstlerkolonie in Darmstadt, für besonders wichtige Teile heranzuziehen. Im übrigen wurden die Bauten jedoch durch Beamte und Hilfskräfte der Verwaltung entworfen und bearbeitet und konnten in verhältnismäßig günstigen Wintern, wenn auch manchmal mit Schwierigkeiten, ohne Störung des Kurbetriebes ausgeführt werden.
Die Gesamtkosten der Hochbauten mit den Nebenanlagen, die in den einzelnen Aufsätzen erwähnt waren, haben etwa 5 400000 Mark betragen, worin etwa 205 000 Mark für Bauleitung und Bauaufsicht einschließlich der Gehälter aller festangestellten Beamten und der Aushilfskräfte, enthalten sind, d. h. etwa 3,8 vH.; hierauf sind auch schon die Kosten der Inventarpläne der meisten Gebäude verrechnet.
Bad Nauheim, im November 1911.
Jost, Großherzoglicher Bauinspektor.“[1]


[1] Wilhelm Jost: Die Neuanlagen von Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 103 (1911) S. 653-658.


Beitragsbild:
Bad Nauheim Sprudelhof – Großer Sprudel
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0


Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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