Gärtnerei Bad Nauheim
Gärtnerei

Die staatliche Gärtnerei von Bad Nauheim

Man könnte sich jetzt fragen wofür ein Kurbad wie Bad Nauheim eine eigene Gärtnerei braucht. Bei genauerer Betrachtung ist die Frage recht schnell zu beantworten: Pflanzen und grüne Dekoration gab es in den Kurbädern des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zuhauf. Selbst heute noch spielt das Grün in Kurstädten eine große Rolle, angefangen bei den Kurparks. Aber auch in den Gebäuden für die Kurgäste, den Badehäusern ebenso wie den Kurhäusern, gab es damals viele Pflanzen, vor allem exotische Palmen und Pelargonien waren gerne gesehen.

Denn der Anblick von Pflanzen – das hatte man schon früh entdeckt – wirkt sich positiv auf die menschliche Seele aus und auch um die ging es im gesundheitlichen Konzept einer Badekur.

Wenn man dies bedenkt, dann wundert es nicht mehr warum ein Kurbad wie Bad Nauheim auch eine eigene Gärtnerei benötigte. Was alles zu dieser neu errichteten Gärtnerei gehörte, die Wilhelm Jost in den Jahren 1906 bis 1907 erbaute, berichtete er selbst 1909 im Zentralblatt der Bauverwaltung:


Die Anlage der Gärtnerei von Bad Nauheim
aus: Wilhelm Jost: Die Neuanlagen in Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 85 (1909) S. 555-557, hier S. 556.

Die Gärtnerei mit Parkgerätehalle

„Die staatliche Gärtnerei mußte, wie bereits in der Einleitung erwähnt (vgl. S. 3), verlegt werden, um Platz zu schaffen für die Vergrößerung und Umgestaltung der Trinkkuranlage. Der Neubau wurde im Spätsommer 1906 begonnen und im Sommer 1907 bezogen. Die beigegebenen Grundrisse erläutern die Anlage. Es war in erster Linie für die Dekorationspflanzen, Lorbeer, Palmen, Bux usw. eine große Überwinterungshalle verlangt, ferner ein Palmenhaus, ein Pelargonienhaus und zwei Kulturhäuser (Warmhäuser); dazu kamen eine Reihe Nebenräume für den Obergärtner und für das Personal, Werkstätte, Lagerhalle und Pferdestall. Die Anordnung erfolgte derart, daß auf der Südseite vor der in der Längsachse von Westen nach Osten ziehenden Überwinterungshalle ein mit Glas gedeckter Gang herzieht, der den Zugang zu den einzelnen Häusern vermittelt und gleichzeitig als mäßig erwärmter Raum zur Aufstellung von Kaltpflanzen benutzt wird. Unter einem Dach mit der Überwinterungshalle sind die Räume für den Obergärtner und dessen Wohnung eingerichtet. Die übrigen Nebenräume sind in einem besonderen Gebäude angeordnet.
Gleichlaufend mit diesem Nebengebäude liegt die lang und schmal, in zwei Geschossen sich erhebende Gerätehalle, deren Untergeschoß zur Aufnahme von Wagen und dergl. dient und deren Obergeschoß hauptsächlich das reichlich vorhandene Gerät, Parkbänke usw. während der Wintermonate aufzunehmen hat. Das hier von Süd nach Nord abfallende Gelände bietet die Möglichkeit, daß sowohl am Untergeschoß wie am Obergeschoß angefahren werden kann. In dem Untergeschoß ist an der Ostseite ein Kuh- und Schweinestall mit Tenne und Heuboden für die benachbarte Parkwartwohnung eingebaut.“


Die Gärtnerei von Osten betrachtet
aus: Wilhelm Jost: Die Neuanlagen in Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 85 (1909) S. 555-557, hier S. 556.

Die Wohnung des Parkwarts und die Kosten

„Diese Parkwartwohnung zeigt im Äußeren wie im Inneren keine großen Unterschiede gegenüber den in Hessen schön in größerer Zahl ausgeführten gleichen Häusern. Immerhin ist bei gleichem Bauprogramm (zwei Zimmer und zwei Kammern mit Küche usw.) versucht worden, auch hier ein der Umgebung angepaßtes gemütliches kleines Heim zu schaffen.
Die Gebäude sind in den einfachsten Formen mit großen Linien gehalten. Das Hauptgebäude der Gärtnerei steht in geputzten Flächen, das Nebengebäude auf der Nordseite in steinsichtig bestochenem Bruchsteinmauerwerk, während dessen Südseite (Hofseite) teils geputzt und zum anderen Teil aus Bretterwänden besteht. Die Gerätehalle zeigt im Untergeschoß dasselbe Bruchsteinmauerwerk, im Obergeschoß rot gestrichene Bretterwände mit weißen Deckleisten. Das Parkwartwohnhaus ist ein Putzbau. Alle Häuser sind mit Normalziegeln der Heppenheimer Ziegelwerke als Doppeldach gedeckt. Die Gewächshäuser einschließlich des Verbindungsganges sind mit glattem Rohglas zwischen Holzsprossen (wegen der geringeren Schwitzwasserbildung) gedeckt. Das Tragwerk besteht aus schmiedeeisernen, möglichst wenig Lichtnehmenden Bindern und Pfetten. Die Warmwasserheizung der Gewächshausanlage ist im Keller des Überwinterungshauses eingebaut und von der Darmstädter Zentralheizungsfabrik, Ingenieur H. Fritz, ausgeführt unter Benutzung der noch brauchbaren Teile der Anlage aus der früheren Gärtnerei. Die Kosten der Gärtnerei betrugen rund 73 000 Mark, der Gerätehalle nebst Stallung 18 500 Mark und der Parkwartwohnung rund 10 000 Mark. Mit dem Entwurf und der Ausführung der Gärtnerei waren nacheinander die Regierungsbauführer Marx und Keller, bei der Gerätehall und der Parkwartwohnung der Regierungsbauführer Wagner unter verantwortlicher Leitung des Unterzeichneten beschäftigt.
Nauheim. Jost.“[1]


[1] Wilhelm Jost: Die Neuanlagen in Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 85 (1909) S. 555-557.


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Beitragsbild aus:
Wilhelm Jost: Die Neuanlagen in Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 85 (1909) S. 555-557, hier S. 555.


Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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