Karl Eser
Geschichte Bad Nauheims

Karl (Carl) Eser – ein Bayer in der Bad Nauheimer Unterwelt

Karl Eser ist kein berühmter Mann und vielen Menschen sagt sein Name rein gar nichts, nicht einmal in der Stadt deren Gesicht er geprägt hat wie kaum ein zweiter. Diese Stadt, das ist Bad Nauheim.
Fragt man nach dem Grund für seine Unbekanntheit, dann ist die Antwort ziemlich einfach: Karl Eser war nicht der Mann im Vordergrund, er war der Mann im Hintergrund oder noch besser gesagt: Er war der Mann im Untergrund.

Egal, wer sich über Karl Eser äußerte, eines beschrieben alle: Er war ein Urbayer, darin waren sie sich einig. Abseits dieser Beschreibung, die für viele Menschen anscheinend alles über diesen Menschen sagte, war Karl Eser Wissenschaftler, Tiefbauingenieur, Vorstand der Badedirektion von Bad Nauheim und Karl May-Fan. Er trank nicht nur gerne Wein, sondern paffte auch gerne seine dicke Import-Zigarre. Eine interessante Gestalt also, über die es nur gar nicht so viel zu berichten gibt, wie man angesichts ihrer Leistungen vermuten sollte.
Die Quellenlage rund um diesen Mann ist eher karg, aber die Quellen, die es gibt beschreiben eine durchaus interessante und vor allem schillernde Persönlichkeit mit Ecken, Kanten und ganz besonders viel Durchsetzungsvermögen.
Beschäftigen wir uns also mal genauer mit diesem Mann, der das Bild, das die heutigen Besucher:innen von Bad Nauheim empfängt, so sehr mitprägte:

Karl Eser
Karl Eser – Foto: Stadtarchiv Bad Nauheim

Dr. Karl Eser – ein Nachruf

Am 8. Februar 1915 erschien in der Bad Nauheimer Zeitung der Nachruf auf einen für die Stadt prägenden Mann, der einen Tag zuvor verstorben war. Der Ton des Nachrufs macht schnell deutlich, dass man ihm wohl sehr ambivalent gegenübergestanden hatte. Seine Leistungen erkannte man durchaus an, aber als Menschen liebte man ihn nicht unbedingt. Ein Phänomen auf das wir noch bei anderen Äußerungen über Karl Eser treffen werden, aber starten wir mit dem Nachruf, der uns schon einige wichtige Informationen über diesen „Mann der Unterwelt“ liefern wird:

„Der Vorstand der Großh. Bade- und Kurverwaltung Geh. Baurat Dr. Karl Eser ist gestern Nacht nach schwerem Leiden verschieden. Der Verstorbene hat sich um die badetechnische Entwicklung unseres Bades unvergängliche Verdienste erworben. Seine Berufung nach hier erfolgte zu einer Zeit, wo ein neues Bad-Nauheim erstehen sollte. Dr. Eser ist geboren am 8. August 1854. In jungen Jahren bezog er die Münchener Universität, wo er sich zunächst dem Studium der Chemie widmete, um später Tiefbaukunde zu studieren. Nach seiner Promotion als Doktor der Philosophie wurde er im bayerischen Staatsdienst mit Meliorationsarbeiten[1] betraut. Anfangs der 90er Jahre bei Errichtung der hessischen Kulturinspektion trat er in den hessischen Staatsdienst und war vor seiner Verwendung in Bad-Nauheim als Meliorationsbaurat in Friedberg und Mainz tätig. Am 22. Mai 1901 im Alter von 47 Jahren wurde er unter Verleihung des Titels ‚Baurat‘ zum Vorstand des Großh. Tiefbauamtes Bad-Nauheim ernannt und wurden ihm im Frühjahr 1902 neben dieser Dienststellung die Geschäfte als Vorstand der Großh. Badedirektion übertragen. In den nun folgenden Jahren hatte der kaum 48jährige ein gewaltiges Stück Arbeit zu leisten. Der Umbau unseres Bades, die Errichtung der Neubauten auf dem Goldstein, die Trinkkuranlage usw., alles sollte geschaffen werden, ohne daß der Betrieb auch nur einen Augenblick stillstand. Daß dieses gelungen, steht noch in aller Erinnerung und voll Stolz blicken wir heute auf die Errungenschaften, die unser Bad in den Jahren, wo Eser bei uns wirkte, erreicht hat. Ein Werk, an dessen Entstehung Eser den Hauptanteil hat, die Lauterer Wasserleitung wurde im Oktober 1907 vollendet. Der Großherzog ehrte die Verdienste des Verstorbenen, die er sich bei Ausführung und Bau des Werkes erworben, dadurch, daß er ihn am Tage der Einweihung der Gruppenwasserversorgung zum ‚Geheimen Baurat‘ ernannte. Bei der wichtigen Stellung des Verstorbenen, der den Vermittler zwischen Staat und Stadt zu machen hatte, konnten Mißverständnisse und Reibungen zwischen den beiden Verwaltungen nicht ausbleiben. Die Gründe hierfür zu untersuchen und Erläuterungen daran zu knüpfen, ist der Augenblick nicht geeignet. Einer späteren Zeit muß es vorbehalten bleiben, das Wirken Esers und seine Taten zu beleuchten. Die spätere Zeit wird auch klarstellen, daß Geh. Rat Dr. Eser ein durchaus energievoller kluger Kopf und ein treuer Diener des hessischen Staates gewesen ist, den die Großh. Regierung sowohl wie seine zahlreichen Freunde innerhalb Hessens und weit darüber hinaus schwer vermissen werden.“

Soweit der Wortlaut des Nachrufes, der uns schon einiges über den Mann verrät, der den Umbau Bad Nauheims zum Jugendstilbad und vor allem zu einem der Welt- und Modebäder des frühen 20. Jahrhunderts ermöglichte.

ehemaliges Badehaus 8 - der Schauplatz der Bad-Nauheim-Debatte im Jahr 1920
So sahen sie aus, die Badehäuser von Bad Nauheim, als Karl Eser hier seinen Posten antrat
ehemaliges Badehaus 8 – der Schauplatz der Bad-Nauheim-Debatte im Jahr 1920

Karl Eser – die jungen Jahre

Geboren wurde Karl Eser am 8. August 1854 in Augsburg. Über seine Kindheit und Jugend ist aus den Quellen nichts zu entnehmen. Das erste, das wir mit Sicherheit wissen ist, dass er im Alter von 25 Jahren im Jahr 1879 die Vorprüfung zum Kulturinspektor machte.
Danach sind wir zumindest über seine berufliche Laufbahn dank der im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt vorhanden Akten[2] recht gut informiert:
1881 machte Eser seine Abschlussprüfung an der Ingenieurabteilung der Technischen Hochschule in München und ein Jahr später die Vorprüfung an der dortigen landwirtschaftlichen Abteilung. Auch dieses Studium schloss er ab und zwar im Jahr 1883.
Wann genau Karl Eser sich dann auch an der Universität Erlangen einschrieb ist nicht klar, aber 1884 promovierte er dort an der philosophischen Fakultät und trat offenbar 1885 seinen ersten Posten als technischer Hilfsarbeiter im königlichen Straßen- und Flussbauamt in Würzburg an. Noch im gleichen Jahr wechselte er dann als Assistent des Kreiskulturingenieurs nach Speyer. Hier blieb er ca. zwei Jahre bevor er Bezirkskulturingenieur für die Westpfalz in Zweibrücken wurde.
Im Jahr 1895 kam er nach Hessen und übernahm die Stelle des Verwesers der Kulturinspektorstelle zu Friedberg, wo er wiederum ein Jahr später Kulturinspektor wurde. Die gleiche Stelle hatte er ab 1898 dann in Mainz inne. Offenbar bewährte er sich hier und wurde am 25. November 1900 zum Meliorationsbaurat ernannt. Melioration ist ein Begriff, der heute nicht mehr wirklich geläufig ist. Als Baurat in diesem Bereich war Eser für Bodenkunde, Landschaftspflege und Wasserwirtschaft zuständig.
Im Jahr 1901 wurde Eser dann zum Baurat und Vorstand des Tiefbauamtes in Bad Nauheim berufen und übernahm hier 1902 auch die Geschäfte des Vorstandes der Badedirektion Bad-Nauheim mit Ausnahme des Minenbetriebs.

Verdienstorden Philipps des Großmütigen - Hessen 1911 - Foto CC0 Wiki
Verdienstorden Philipps des Großmütigen – Hessen 1911 – Foto: CC0, via Wikimedia Commons

Karl Eser – Ein Bayer in Bad Nauheim

Es war ein verantwortungsvoller Posten, den Karl Eser am 22. Mai 1901 in Bad Nauheim antrat. Berufen wurde er hier zum Baurat, Vorstand des Tiefbauamts und der Badediektion. Auch hier kommt die Erzählung über Esers Leben und Wirken mangels Quellen in den ersten Jahren über eine pure Aufzählung von Ehrungen nicht hinaus.
Nach allem, was wir den spärlichen Quellen entnehmen können bewährte sich Eser auch in Bad Nauheim von Beginn an und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. So erhielt er im November 1903 das Ritterkreuz I. Klasse des Verdienstordens Philipps des Großmütigen. Bereits drei Monate zuvor wurde ihm die Erlaubnis zur Annahme und zum Tragen des ihm vom Fürsten zu Reuß verliehenen Ehrenkreuzes II. Klasse gewährt.
1904 erhielt er dann auch noch die Ritterinsignien I. Klasse des Hausordens Albrechts des Bären durch den Herzog von Anhalt.
Bei öffentlichen Anlässen konnte er sich nun also fraglos schon mit ein wenig Lametta schmücken. Aber auch seine Arbeit muss er zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten verrichtet haben, denn 1907 erhielt er die Ernennung zum Geheimen Baurat. Im gleichen Jahr kam auch noch ein weiterer Orden hinzu, diesmal vom Großherzog von Mecklenburg-Schwerin. Es war das Ehrenkreuz des Greifenordens.
Solche Auszeichnungen, Orden und Ehrenzeichen fremder Fürsten erhielten in Bad Nauheim übrigens zahlreiche Personen. Der Grund dafür ist Dankbarkeit und zwar Dankbarkeit für einen schönen und meist auch heilsamen Kuraufenthalt. Selbst die Badmeister wurden von auswärtigen Herrschern bei ihrer Abreise mit solchen Orden als Dank versehen.

Wilhelm Jost 1912 - Foto: Stadtarchiv Bad Nauheim
Wilhelm Jost 1912 – Foto: Stadtarchiv Bad Nauheim

Wilhelm Jost und Karl Eser – Kontrahenten und kongeniale Partner

Im Jahr 1901 war ein junger Architekt namens Wilhelm Jost „nach Friedberg versetzt [worden], um die Bauleitung eines eiligst fertigzustellenden Inhalatoriums in Bad Nauheim zu übernehmen.[3] Dass aus diesem gerade einmal 27-jährigen hessischen Architekten und dem 20 Jahre älteren bayerischen Ingenieur einmal das Team werden würde, das das Antlitz Bad Nauheims für immer verändern würde, hätte zu diesem Zeitpunkt sicherlich niemand gedacht. Die beiden genannten Männer wohl am allerwenigsten. Und doch wurden sie zu den kongenialen Partnern, die Bauten möglich machten, die noch heute jeden Gast beeindrucken, der nach Bad Nauheim kommt. Und obwohl sie mehr Kontrahenten und Rivalen als Freunde waren, fanden sie eine gute Basis um miteinander zu arbeiten und schier unmöglich scheinendes doch umzusetzen.
Doch beginnen wir mit dem Moment, in dem sie sich zum ersten so richtig kennenlernten, bei ihrer ersten gemeinsamen Reise:

Gesamtplan Sprudelhof Bad Nauheim Wilhelm Jost
Wilhelm Josts Plan für den neuen Sprudelhof von Bad Nauheim – aus: Zentralblatt der Bauverwaltung

Wenn zwei ungleiche Männer eine Reise machen

Im Herbst des Jahres 1903 reisten Karl Eser, Wilhelm Jost und zwei „Referenten des Ministeriums“[4] los, um Ideen für einen Ausbau von Bad Nauheim zu sammeln.
Schon in diesem Zusammenhang beschreibt Jost den Baurat Eser als Mann, „der mit einer außergewöhnlichen zielstrebigen Tatkraft nach einem großzügigen Ausbau des Bades strebte.“[5]
Diese Zielstrebigkeit und Tatkraft betonte Jost auch später immer wieder und das war es auch, was er an Eser, bei allen persönlichen Differenzen, die die beiden über die Jahre haben sollten, zeitlebens schätzte.
Das erste Ziel der Reise war Berlin. Dort besichtigte man die Schwimmbadeanstalten und machte einen Besuch beim Stadtbaurat Ludwig Hoffmann. Von dort reiste man weiter nach Karlsbad und hier „war es dann, wo die Frage aufgeworfen wurde, ob die Errichtung eines Schwimm- und Moorbades für Bad Nauheim wirklich das Richtige wäre.
Jost präsentierte den Herrn seine „Gedanken über die Erneuerung der Badeanlagen, deren Grundriß [er] im Sande des Sprudelplatzes den Herren erläuterte“.[6]
Die Größe des Planes machte Eindruck, und besonders der Badedirektor, Dr. Eser, dem ohnehin nichts großartig genug sein konnte, nahm den Gedanken freudig auf.
So kehrte man dann nach Hessen zurück. Mit einem Plan im Gepäck, der von den ursprünglichen Plänen meilenweit entfernt und eigentlich viel zu gigantisch war, um eine Chance zu haben.
Aber das kennt man ja, wenn Du keine Chance hast, dann nutze sie und genau das taten die Herren.
Wilhelm Jost schrieb hierzu:
Die Studienreise zur Erforschung von Schwimm- und Moorbadeanlagen endete mit dem Beschluß, von der Erbauung einer solchen Anlage ganz abzusehen und stattdessen die gesamten Kur- und Badeanlagen nach einheitlichen Plänen umzugestalten.
Erstaunlicherweise wurde der Plan nicht abgeschmettert. Das „Ministerium billigte den Vorschlag und bald nach Rückkehr von der Reise setzt ein fröhliches Planen und Berechnen beim Hoch- und Tiefbauamt, letzteres unter Dr. Eser, ein.[7]
 

Sprudelhof Bad Nauheim
Sprudelhof Bad Nauheim um 1910 historische Ansichtskarte

Eser, Jost und das neue Bad Nauheim

Sieben Jahre bauten die beiden ungleichen Partner gemeinsam am Projekt Bäderanlage für Bad Nauheim zu der mehr gehörte als nur der zentrale Sprudelhof mit seinen Badehäusern und Verwaltungsbauten. Auch das Kurhaus wurde erweitert und mit einem Theater im Jugendstil versehen, das über 2.000 Sitzplätze hatte. Dazu kamen die Trinkkuranlage, die technischen Bauten am Goldstein und die Kolonnaden mit ihren Geschäften und dem Tennis-Café.
Wilhelm Jost nannte dieses Werk am Ende den „Höhepunkt meines architektonischen Schaffens“.
Es war ein „Millionenwerk“, das sie hier errichteten.[8]
Die Schwierigkeit lag vor allem darin, dass nahezu alle Gebäude nur im Winter errichtet werden konnten, denn im Sommer musste der Kurbetrieb weitergehen und das möglichst uneingeschränkt.
Ja, und Winter, die waren damals zu Beginn des 20. Jahrhunderts offenbar noch richtige Winter, wenn man den Erzählungen von Wilhelm Jost Glauben schenken kann. Er berichtet mehrfach von Temperaturen um minus 20 Grad und davon, dass selbst der Beton gefror.
Mit Karl Eser, den er immer nur mit „C“ schreibt (also Carl), hatte er offenbar so seine liebe Not.
In seinen Lebenserinnerungen widmete er ihm einen kurzen Abschnitt. Hier steht zu lesen:

Plan der Kanalisation im Sprudelhof, abgezeichnet von Karl Eser - Hessisches Staatsarchiv Darmstadt
Plan der Kanalisation im Sprudelhof, abgezeichnet von Karl Eser – Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Wilhelm Jost über Carl Eser

„Ein Kapitel für sich war die Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt, das, wie bereits erwähnt, Baurat Dr. Eser unterstand, der aber gleichzeitig auch Badedirektor und damit Vertreter des Bauherrn war.  In seiner letztgenannten Eigenschaft hatte er natürlich das Recht, von mir die rechtzeitige Fertigstellung der Bauten zu verlangen. Nur hätte er als Vorstand des Tiefbauamtes mit gutem Beispiel vorangehen sollen! Leider war das nicht immer der Fall, und ich wurde oft durch ihn aufgehalten. Meine entsprechenden Vorstellungen beim ‚Vorstand des Tiefbauamts‘ prallten aber an dem ‚Badedirektor‘ ab, und auch die beim Tiefbauamt amtierenden Angestellten fühlten sich gern in die Rolle des Bauherrn, auch meinen Angestellten gegenüber. Das führte zu ständigen Plänkeleien und Ärgernissen. Ich war in der Taktik des gerissenen Verwaltungsbeamten noch nicht genügend geschult und konnte mich nicht einfach auf den Standpunkt des berühmten Amtsschimmels stellen und unter schriftlicher Festlegung der Tatsachen die Dinge eben laufen und das Tiefbauamt hängen lassen. Das widerstrebte meinem innerlichen Verwachsensein mit der architektonischen Aufgabe.“[9]

Soweit Wilhelm Jost über die manchmal unerfreuliche Zusammenarbeit mit dem manchmal scheinbar auch faulen Karl Eser.
Den Posten des Badedirektors und Vorstand der Bade- und Kurverwaltung zu Bad Nauheim erhielt Eser übrigens erst am 1. April 1911.
Zwar endet der Abschnitt über Eser an dieser Stelle, aber im darauffolgenden Abschnitt geht Jost noch deutlich detaillierter auf die Person Esers und dessen Charakter ein, deshalb sei auch dieser Abschnitt hier zur Gänze zitiert:

Rohrleitungssystem für die Badehäuser in Bad Nauheim
Rohrleitungssystem für die Badehäuser in Bad Nauheim Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Bauästhetik versus Technik oder wenn ein Künstler auf einen Ingenieur trifft

„Ich fühlte mich persönlich verantwortlich für die Durchführung, weil nach meiner Überzeugung die tiefbaulichen Arbeiten ja nur ein Teil der Aufgabe waren und zwar baukünstlerisch der unbedeutendere […] Dabei habe ich damals schon […] die umfangreichen technischen Arbeiten des Tiefbauamtes anerkannt. Die weitverzweigten Rohrleitungen von den Sprudeln zu den Badewannen und zu den Speicherbehältern, die Leitungen des Fernheizwerks von jenseits der Bahn bis herunter zu den Badehäusern und vieles andere waren Meisterstücke technischer Leistung besonders auch für die damalige Zeit […].
[…] aber wir waren eben ganz verschiedener Meinung über das Verhältnis zwischen künstlerischer Form und technischer Ausführung. Bei meiner damals vielleicht manchmal auch etwas unbeherrschten Art – übrigens war Eser als Bayer auch nicht gerade wählerisch in Form und Ausdruck – kam es oft zu Auseinandersetzungen, in denen natürlich Eser als der Ältere und als Badedirektor meist im Vorteil war […]. Als ich glaubte, nicht mehr weiter dies ertragen zu können, nahm ich meine Zuflucht zu dem badetechnischen Referenten im Ministerium, dem Geheimen Oberbaurat Schmück, der mit Eser besonders freundschaftlich stand. Ich klagte ihm die Schwierigkeiten des Zusammenarbeitens und bat ihn, doch zu vermitteln. Er nahm die Sache nicht tragisch und meinte kurz und bündig: ‚Ein Rennpferd und ein Ackergaul können eben nicht zusammengehen; aber, wenn er Sie ärgert, ärgern Sie ihn doch wieder.‘“[10]

Kurhaus Bad Nauheim Terrasse
Kurhaus Bad Nauheim historische Ansichtskarte

Wenn der Architekt zurückärgert

„Aber einmal habe ich unbewußt doch den Rat Schmücks befolgt: Ich war gerade von der Italienreise zurückgekommen und bewegte mich im geist noch in den schwindelnden Höhen der Kunst, da sagte Eser bei einer Ministerialbesichtigung, ich müßte demnächst die kupfernen Beleuchtungskörper in den offenen Hallen des Kurhauses, die ich natürlich wegen der zu erwartenden Patina aus Kupfer ausgeführt hatte, – mit Ölfarbe streichen lassen! Es fuhr mir nur so heraus: ‚Na, so blödsinnig san mer net!‘ Eser blieb ganz ruhig und ich dachte schon, er hätte es so aufgefaßt, wie es gemeint war, nämlich bayrisch, urwüchsig. Er hatte es aber übelgenommen und beschwerte sich beim Ministerium. Ein juristischer Oberfinanzrat […] wurde in höchsteigener Person in Bewegung gesetzt, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Wie, weiß ich nicht mehr, jedenfalls war mir das gar nicht so wichtig, und ich hatte wirklich keine persönliche Beleidigung beabsichtigt; ich kannte ja Eser als großen Kunstbanausen. Es ist darüber natürlich wieder Gras gewachsen, und wir haben noch manches Mal ein gutes Fläschchen zusammen getrunken, was Eser so gern tat. In den ersten Jahren, als er noch Junggeselle war und über seinem einfachen Amtszimmer in einem alten Badehaus eine Wohnung innehatte, leitete er oft dienstliche Besprechungen damit ein, daß er sagte: ‚Gehns, trinken wir ein Glas Wein dazu‘, und dann ging es hinauf in die Wohnung; zum Glas Wein reichte der Kenner ein trocknes Brötchen.
Esers bleibendes Verdienst war sein zähes, zielstrebiges Wirken für die Erneuerung und Weiterentwicklung der Badeeinrichtungen. Wie er zuerst das Schwimm- und Moorbad empfahl, dann aber nach der Studienreise meine Anregungen aufgriff und von seinem Standpunkt als Badedirektor nach allen Möglichkeiten durchdachte und ausarbeitete, und wie er ständig grübelte und nicht nachließ, bis er das fast Unmögliche doch herausholte – das war bezeichnend für sein Arbeiten. Wenn er sagte: ‚I muß das haben‘, dann gab’s für ihn kein Hindernis, und wenn er dann seinen Freund und Gönner Schmück dafür gewonnen hatte, dann wurden alle Widerstände überwunden.“[11]

Finanzminister Feodor Gnauth
Finanzminister Feodor Gnauth Foto: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Karl Eser – ein Ackergaul als treibende Kraft für Bad Nauheim

Wilhelm Jost fährt in seinen Lebenserinnerungen über Karl Eser fort:


„Er hatte eine gute Organisationsgabe, arbeitete geschickt mit Statistiken und konnte damit immer seine Leute vollauf beschäftigen. Er war in der Tat die treibende Kraft des Bades, was er ja als örtlich leitender Beamter auch sein mußte, was aber durchaus nicht immer bei Lokalbehörden so zu sein pflegte. […] So fühlten wir uns beide wohl – zu Zeiten besseren Einverständnisses – als die zielweisenden leitenden Faktoren, und solche Stimmungen wußte Eser geschickt zu Anregungen zu benutzen, gleichzeitig aber auch mit einer Flasche ‚Schampus‘ und einer dicken Importen ein Fest daraus zu machen. Solcher Art entsprang auch seine stehende Redewendung gegen die Herren des Ministeriums: ‚Gehns, sparen S’net an der letzten Flaschen.‘ Und die Herren des Ministeriums waren ja auch im allgemeinen unter Führung des Finanzministers Gnauth, eines Technikers, nicht kleinlich; sie sahen auch die Bedeutung des Bades und erkannten die Werbemöglichkeiten der neuen Badeanlagen.“

Soweit die Geschichten von Wilhelm Jost über seinen kongenialen Partner Carl Eser. Keiner von beiden hätte wohl alleine diese einzigartige Anlage erschaffen können und so war es gut, dass gerade sie aufeinandertrafen, wenn sie sich auch so manches Mal nicht grün waren.

Karl Emil Göttelmann
Karl Emil Göttelmann Foto: gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Karl May, Winnetou und Hadschi Halef zu Besuch

Dass Karl Eser gerne Wein trank und auch „Schampus“, dass er gerne eine dicke Import-Zigarre paffte, das sind Informationen, die Wilhelm Jost uns über den Mann der Unterwelt von Bad Nauheim hinterlassen hat. Aber es sind nicht die einzigen Informationen, die wir über den Privatmann Eser haben. Erhalten hat sich noch eine andere ganz persönliche Information und die betrifft seine Lesegewohnheiten: Karl Eser war ein großer Karl May Fan. Seine Liebe zu den Büchern dieses Autors war so groß, dass er die Bücher nicht nur mit großer Begeisterung las, sondern dass er auch persönlich mit dem Autor in Kontakt trat.
Die Vorliebe für die Werke Karl Mays verband ihn mit seinem Freund Karl Göttelmann (1858-1928). Wann und wo er den späteren Mainzer Oberbürgermeister kennenlernte ist nicht ganz zu klären. Eine Verbindung zwischen beiden ist erstmals für das Jahr 1897 nachweisbar, da war Eser bereits seit zwei Jahren in Hessen und Göttelmann arbeitete zu dieser Zeit als Amtmann u.a. in Friedberg.
Offenbar stellten die beiden schnell fest, dass sie den gleichen Literaturgeschmack hatten und schrieben am 30. Dezember 1897 gemeinsam einen Brief an ihren Lieblingsautor:

Sehr geehrter Herr!
Zu Ihren vielen, Ihnen unbekannte Freunden rechnen sich, seitdem sie Ihre Schriften lesen, auch die Unterzeichneten, die Ihnen für die vielen genußreichen Stunden und die Fülle geistiger Anregungen zu großem Danke verpflichtet sind. Daß dieser Kreis Ihrer unbekannten Freunde tagtäglich größer wird, beweist die Thatsache, daß noch jeder, alt oder jung, der auch nur einen Band Ihrer Reiseerzählungen in die Hand genommen hat, sich begeistert der Familie angeschlossen hat, die Sie, verehrter Herr, als Ihren “literarischen Papa” schätzt und liebt. Haben wir es doch erlebt, daß 60jährige Männer, die über unsere Begeisterung für Winnetou und Hadschi Halef als über eine verspätete jugendliche Schwärmerei für Indianer- und Araberfiguren gelacht, nach der Lectüre auch nur eines Bandes Winnetou die Nächte durchgelesen haben, nicht müde geworden sind, die sämmtlichen Bände zu lesen und mit Spannung auf Ihre ferneren Publicationen warten. Thatsächlich wird es kaum einen zweiten Schriftsteller geben, der in dem Kreise seiner Leser und damit seiner Verehrer so sehr alle Alter vom 12jährigen Gymnasiasten bis zum graubärtigen Greise vereinigt.
Im Interesse Ihrer kostbaren Zeit wünschen wir, daß diesen Allen das Herz nicht so voll sein möge, daß ihnen wie uns “der Mund über” geht; aber   e i n m a l   muß auch einem so viel Beschäftigten Manne gegenüber der Dankbarkeit das Wort verstattet sein. Gestatten Sie deshalb, daß wir uns zu Dolmetschen der Gefühle Vieler machen, Ihnen für diese vielen genußreichen Stunden herzlich danken und Ihnen die besten Glück- und Segenswünsche zum neuen Jahre übersenden.
Wir wissen, daß es Ihre Zeit nicht erlaubt, auf Zuschriften, wie diese zu antworten und machen uns deshalb auf eine Antwort auch keine Hoffnung. Sollten Sie aber zu einer kurzen Mitteilung Zeit und Lust übrig haben, so wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie die beifolgende Postkarte ausfüllen und an einen von uns absenden wollten. Unser Interesse an der Mitteilung bedarf wol
 [sic] keiner näheren Begründung.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Dr. E[ser] Regierungsrath.
Dr. G[öttelmann] Kulturinspector.[12]

Der schwärmerische Brief wurde in Mays Broschüre “Karl May als Erzieher” und “Die Wahrheit über Karl May” als Leserbrief veröffentlicht. Aber nicht nur das – Karl May schrieb den Herren auch zurück.
Die Antwort veranlasste Eser zu einem erneuten ausgesprochen schwärmerischen Brief. In dem steht zu lesen:

Ich versichere Sie meiner aufrichtigen Verehrung und Dankbarkeit für die vielen, vielen schönen Abende, welche mir Ihre herrlichen Werke schon bereitet haben.   Ihre spannenden, gehaltreichen Erzählungen waren die Veranlassung, daß ich schon seit 2 Jahren das unbesiegbare Bedüfrnis nach Tisch auszugehen, nicht mehr empfinde und daß es jetzt zu den größten Seltenheiten und Opfern gehört, wenn ich einen Abend im Wirthause verleben muß.
Dr. E[ser]“[13]

Von einer Orientreise brachte May dann Tschibuks, das sind lange türkische Tabakspfeifen, für Eser mit, wie er am 30. Juni 1900 in sein Reisetagebuch schrieb.[14]

Karl May
Karl May (1907)
Foto: gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Karl May und Karl Eser – eine besondere Begegnung

Offenbar ging das Verhältnis zwischen Eser und May über das normale Maß hinaus, dass man zwischen einem Leser und seinem Lieblingsautor erwarten sollte, denn 1904 kam es zu einem Besuch. Karl May reist mit seiner Frau Klara am 26. Oktober 1904 von Nürnberg über Frankfurt nach Bad Nauheim zu Karl Eser. May und seine Frau wohnten hier im Hotel Reichshof. Auch Göttelmann kam zu diesem Treffen und offenbar waren es vergnügte Tage, die man hier miteinander verbrachte.
Aus einem Tagebucheintrag Klara Mays (1864-1944) wissen wir auch, dass Eser zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet war.
Sie schrieb über ihren Aufenthalt:

Nur einen Freund da besucht, den lieben Baurat Dr. Eser. Unbeschreiblich liebe Menschen. Der gute Rat ließ Photographien aufnehmen von uns Allen. […] Eser und Gättelmann […] sind die ältesten und treuesten Freunde mit. […] Dr. E. ist ein prachtvoller Bayer. Ehrlich treu und – grob. Sein liebes, freundliches, stilles Frauchen nennt er scherzhaft “Schandweib”. Als ich es zuerst hörte, bekam ich einen Schreck.“[15]

Am 31. Oktober reisten die Mays morgens um 8:30 Uhr weiter nach Weimar. Auch hierüber schrieb Klara May in ihrem Tagebuch eine Notiz:

„Der gute Rat sollte nicht zur Bahn kommen. Wir hatten es extra abgemacht, noch in der Nacht vor unserer Thür [im Hotel], wohin er uns brachte. Er war aber doch da, mit einem prächtigen Rosenbuschen.“[16]

Die Fotos, die im Kurpark von Bad Nauheim von den Mays gemacht wurden, schickte Eser am 27. November an die Familie.  
auch nach diesem Besuch blieb der Kontakt noch weiter bestehen und im September 1906 schickte Karl May ein mit Widmung versehenes Exemplar seines Dramas Babel und Bibel an Eser.
In seinem Brief schrieb May:

„Was “Babel und Bibel” betrifft, so kann ich Ihnen, dem Freunde wohl aufrichtig sagen, daß ich mit diesen nun erscheinenden Dramen mehr beabsichtige, als man wahrscheinlich denken wird. […] Sie werden bei der Lecture des Stückes leicht bemerken, nach welchen Idealen ich dabei schaue. Einer der rein ethischen Zwecke ist auch die Säuberung der Bühne vom Sünden-, Schanden- und vom Ehebruchsschmutz […] Welche Bühne aber wird so kühn sein, die Première zu übernehmen?“[17]

Die letzte erhaltene Quelle zum Kontakt zwischen Carl und Luise Eser und dem Ehepaar May stammt vom 15. September 1907. Es ist eine Grußkarte aus München, die die Mays an die Esers schickten.
Der Kontakt riss also offenbar genau zu der Zeit ab, als Eser mit den Bauarbeiten für die neuen Kuranlagen in Bad Nauheim und das Gruppenwasserwerk, das Bad Nauheim mit sauberem Süßwasser versorgte, beschäftigt war.

Karl Eser und die Leibwache der Zarin Alexandra Feodorowna im Sprudelhof
Karl Eser und die Leibwache der Zarin Alexandra Feodorowna im Sprudelhof Foto: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Karl Eser – die letzten Jahre

Die letzten Lebensjahre von Karl Eser verschwinden wieder im Nebel der Geschichte. Bisher konnten keine persönlichen Quellen mehr über sein Leben gefunden werden. Einzig offizielle Texte und Bilder aus seiner Tätigkeit als Leiter des Tiefbauamts und der Badedirektion sind erhalten.
Sie zeigen einen beruflich außerordentlich engagierten Mann, der zahlreiche zukunftsweisen Projekte voranbrachte. Neben dem Bau der neuen Badeanlagen für Bad Nauheim, den technischen Gebäuden, der Trinkkuranlage und den Kolonnaden war dies vor allem auch das Gruppenwasserwerk, das im Oktober 1907 feierlich eröffnet wurde und die Gemeinden Bad Nauheim, Friedberg, Schwalheim, Dorheim, Melbach, Soedel, Wölfersheim, Derstadt, Utphe, Fraishorloff, Nonnenroth, Villingen, Ober-Bessingen, Lauter und Inheiden mit Trink- und auch Löschwasser versorgte.
Das war vor allem für den Kurort Bad Nauheim von außerordentlicher Bedeutung, denn bis zur Inbetriebnahme dieses neuen Wasserwerks war es immer wieder zu Wasserknappheit gekommen, da die zahllosen Kurgäste mehr Trinkwasser benötigten, als in Bad Nauheim zur Verfügung stand.

Neben den Tätigkeiten im Baubereich war es die Aufgabe des Badedirektors Karl Eser auch hochrangige Gäste zu begrüßen und während ihres Aufenthalts zu betreuen.
Mit dem Ausbau der Kuranlagen kamen von diesen nun immer mehr und so lesen wir von Treffen Esers sowohl mit der russischen Zarin Alexandra Feodorowna als auch mit der deutschen Kaiserin Auguste Victoria.
Auch Fotos haben sich erhalten, die Eser beispielsweise mit der Leibwache der russischen Zarin im neugebauten Sprudelhof zeigen.

Karl Eser starb am 7. Februar 1915 in Bad Nauheim. Er wurde 60 Jahre alt.

Bis heute zieren er und sein kongenialer Partner den Sprudelhof und blicken Tag für Tag auf ihr Werk hinab.


[1] Arbeiten zur Bodenverbesserung.
[2] HStAD Bestand G 31 P in Nr. 1140.
[3] Wilhelm Jost: Erinnerungen aus meinem Leben, in: Britta Spranger, Führer durch den Sprudelhof, Mainz 2000, S. 55-101, hier S. 68.
[4] Einer der Referenten wird namentlich genannt, es war der Geheime Oberbaurat Braun.
[5] Wilhelm Jost: Erinnerungen aus meinem Leben, in: Britta Spranger, Führer durch den Sprudelhof, Mainz 2000, S. 55-101, hier S. 74.
[6] ebd. S. 75.
[7] ebd. S. 76.
[8] ebd. S. 76.
[9] ebd. S. 91f.
[10] ebd. S. 92f.
[11] ebd. S. 93f.
[12] Zitiert nach Art. Karl Göttelmann, in: Karl May Wiki, GNU Free Documentation License 1.2
[13] Zitiert nach Art. Carl Eser, in: Karl May Wiki
[14] Art. Karl Göttelmann, in: Karl May Wiki
[15] Art. Carl Eser, in: Karl May Wiki
[16] ebd.
[17] ebd.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert