Eingang Trinkkuranlage Bad Nauheim Ernst-Ludwig-Ring
Trinkkuranlage

Die Trinkkuranlage von Bad Nauheim

Neben den Badehäusern und dem Sprudelhof ist die Trinkkuranlage von Bad Nauheim der wichtigste Kurbereich.
In Bad Nauheim gab es von Beginn an nicht nur die die Badekur, sondern auch Trinkkuren und sogenannte Milch- und Molkekuren. Wie in vielen anderen Heilbädern auch spielten die mineralischen Quellen und ihre Heilwirkung eine große Rolle. Die Heilwässer, die tief aus der Erde entspringen wirken sich positiv auf die Gesundheit aus und sind vor allem in Bezug auf die Verdauungsorgane von großer Wichtigkeit.

Schon in den Anfängen Nauheims als Heilkurort gab es Brunnenanlagen an denen der Kurgast die verschiedenen Mineralwässer, die man hier gefunden hatte, erhalten und trinken konnte. Im Zuge der Neugestaltung des Kurbades zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter der Ägide des Großherzogs Ernst Ludwig und seines Architekten Wilhelm Jost wurde auch der Bereich der Trink-, sowie Milch- und Molkekuren umgestaltet. Alles wurde im Geist der Zeit und des damals modernen Jugendstils neu gestaltet und für einen mondänen Kurort von Weltruf neu gewandet.

Im Jahr 1911 beschrieb Wilhelm Jost im Zentralblatt der Bauverwaltung die Um- bzw. Neugestaltung der Trinkkuranlage von Bad Nauheim mitsamt ihrem Musiktempel und der Milch- und Molkekuranlage:


Plan Trinkkuranlage Bad Nauheim
Plan der Trinkkuranlage von Bad Nauheim
aus: Wilhelm Jost: Die Neuanlagen von Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 103 (1911) S. 653-658, hier S. 654.

Planungen zur Trinkkuranlage von Bad Nauheim

„Bei der Beschreibung der Verkaufsläden und des Kaffeehauses (Jahrgang 1910, S. 514) wurde bereits darauf hingewiesen, daß die früher beabsichtigte Zusammenlegung der Kolonnaden mit dem Kaffeehaus und den Läden am Kurbrunnen später aufgegeben wurde und daß die letzteren längs der Parkallee in Verbindung mit den Ballspielplätzen als besondere Bauanlage ausgeführt worden sind. Es blieb also für die Anlage am Kurbrunnen die Bestimmung als reine Trinkkuranlage, und das Bauprogramm wurde nach dieser Richtung hin gegenüber der ursprünglichen Regierungsvorlage ganz wesentlich erweitert. Neu gefordert wurde vor allem die architektonische Überbauung des Kurbrunnens, über dem vorher ein Schutzdach auf gußeisernen Stützen stand, ferner eine geschlossene, möglichst geräumige Trinkhalle, in der die verschiedenen Trinkwasser kalt und auch angewärmt verabreicht werden sollten, dazu Gurgelräume und ein Raum zur Aufbewahrung der Trinkgläser. Statt des Kaffeehauses wurde eine Raumgruppe für Milch- und Molkenkur, Verabreichung fremder Mineralwasser und dergl. verlangt. Dagegen fielen die Läden bis auf fünf kleinere, mehr für Zwecke der Verwaltung vorbehaltene Kojen ganz weg. Wichtig war aber ferner noch die Forderung von sechs Brunnennischen, in denen die sechs hauptsächlichsten Quellen zum Auslauf kommen sollten. Diese Nischen mußten, um ein Zusammenströmen vieler Menschen an einem Punkt zu vermeiden, auf die ganze Länge der Wandelhallen verteilt werden. Damit war im wesentlichen ein ganz neues Bauprogramm gegeben, und es konnte der unter besonderer Leitung des Geheimen Oberbaurats Professor Hofmann auf dem bautechnischen Bureau des Großherzoglichen Ministeriums der Finanzen ausgearbeitete erste Entwurf leider nicht beibebalten werden. Es wurde vielmehr, nachdem verschiedene Zwischenentwürfe fallengelassen waren, von dem Unterzeichneten ein ganz neuer Entwurf bearbeitet, der auf Anregung des Großherzogs davon ausgeht, daß sich die Wandelhallen symmetrisch zu der durch den benachbarten Kastanienplatz ziehenden Nord-Süd-Achse gruppieren, und daß aus diesem Grunde der Baumasse des Kurbrunnens mit dahinterliegender Trinkhalle jenseit der genannten Achse ein Gegengewicht in dem Bauteil der Milchtrinkhalle mit darüberliegender Wohnung gegeben wurde. Zwischen beiden liegt der Musiktempel mit großem Wasserbecken. Von der Milchtrinkballe bis zum Kurbrunnen führt die im Grundriß hufeisenförmig verlaufende Wandelhalle, auf deren Südseite wieder zur Betonung der Hauptachse ein Portalbau den Eingang von der Straße, dem Ernst-Ludwig-Ring, vermittelt. Bei dieser symmetrischen Anordnung blieb aber wesentlich zwischen dem Flügel der Wandelhallen und der Kurstraße noch ein breiter Streifen liegen, der zur Anordnung einer Parallelhalle benutzt wurde, die südlich in einer Querhalle mündet und nördlich den bedeckten Zugang aus der Wandelhalle zu der Trinkhalle bildet. Zwischen den beiden parallel laufenden Wandelhallen, von denen die innere natürlich beiderseitig offen ausgeführt werden mußte, gab sich Gelegenheit, einen anmutigen Gartenhof einzubauen. Die Schwingung der Wandelhallen, die sämtlich bogenförmig verlaufen, war durch die Richtung der längs der Osthallen hinfließenden Usa bedingt und mußte bei der symmetrischen Ausbildung auf die Westhallen und dann wegen der besseren Gesamtwirkung auch auf die Südhallen übernommen werden. So ist die ganze Anlage nur von innen heraus entwickelt, und es bot besondere Schwierigkeit, im Äußeren wenigstens soviel als möglich Rücksicht auf den Verlauf der Straßen zu nehmen. Wie dies durch Vorziehen der Trinkhalle und Gurgelräume bis auf die Bauflucht der Kurstraße und durch Anordnung von Terrassen am Ernst-Ludwig-Ring versucht ist, geht aus dem Grundriß hervor.“


Trinkhalle Trinkkuranlage Bad Nauheim
Die Trinkhalle in der Trinkkuranlage von Bad Nauheim
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Die Trinkhalle von Bad Nauheim

„Soviel über die Gesamtanlage. Der wichtigste Gebäudeteil ist der Kurbrunnen, der an alter Stelle neu überbaut ist. Der Brunnen liegt etwa 4 m unter Terrain; der gegen den Brunnen etwas erhöht liegende untere Brunnenraum ist durch Treppen, die in einem besonderen Umgang liegen, zugänglich; oben verbindet dieser Umgang die Wandelhallen mit dem Gläserraum und der Trinkhalle. Der innere Brunnenraum ist aus geschliffenem und gewachstem Muschelkalk ausgeführt wie auch die Säulen des oberen Umgangs, auf denen die halbkugelförmige Kuppel ruht. Die äußeren Wände des achteckigen Baues sind an fünf Seiten durch breite Öffnungen unterbrochen, die mit geschmiedeten Gittern geschlossen werden können. Die Muschelkalkpfeiler sind innen mit kleinen Reliefs des Bildhauers Belz, Frankfurt a. Main, geschmückt. In dem anschließenden Gläserraum werden auf offenen Gestellen aus Eisen und Glas die Trinkgläser aufbewahrt und in Spülbecken gespült. Die Kurgäste holen sich hier die Gläser und gehen in die unmittelbar daneben liegende Trinkhalle, um sich dort an dem aus keramischem Material der Großherzoglichen Manufaktur in Darmstadt aufgebauten Brunnen von der Bedienung die gewünschte Quelle oder mehrere gemischt in der vorgeschriebenen Wärme verabreichen zu lassen. Um diese vereinfachte Abgabe der gewärmten Wasser zu ermöglichen, sind die verschiedenen Quellen von ihrem Ursprung hergeleitet und in hochliegende Sammelbehälter gepumpt worden, von wo sie, durch Wärmkessel im Keller und innerhalb des Brunnenaufbaues fließend, in 16 Hähnen auslaufen. Wände, Pfeiler und Vierungsbogen der Kuppel dieses Raumes sind in Vorsatzbeton gestampft und dann scharriert worden, auch die Decken der seitlichen Nischen sind so behandelt. Dazu sind Perlstäbe, Gesimsleisten und Rosetten aus glasiertem Steinzeug der Großherzoglichen Manufaktur in grüner und weißer Glasur mit Gold zur Betonung der Gliederung verwandt. Die beiden Baustoffe Beton und Steinzeug haben in ihrer Verbindung fast etwas Selbstverständliches und steigern sich gegenseitig in der Wirkung.
Über die benachbarten Gurgelräume ist nicht viel mehr zu sagen, als daß die Gurgelbecken zu je vier in Nischen aufgestellt, die Wandeinteilung in der Plattenbekleidung den Gurgelbecken angepaßt, alle Metallteile vernickelt, die grauen Platten violett und schwarz gemustert und die Decken grün gestrichen sind. Die Räume wirken in dieser Ausstattung farbig und angenehm.“


Musikmuschel Trinkkuranlage Bad Nauheim
Die Musikmuschel in der Trinkkuranlage von Bad Nauheim
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Zwischen Musikmuschel und Milchkuranstalt

„Der große Musiktempel ist mitsamt der angegliederten Kleiderablage und Wandelhalle fast vollständig in Beton ausgeführt, und gerade die große Muschel mit der weit vorgezogenen Haube ist im Inneren ohne jede Verkleidung als scharrierter Beton stehen geblieben; lediglich eine die Gliederung und Kassettierung betonende Malerei steigert die Wirkung. Diese Ausführungsweise hat sich akustisch vollkommen bewährt und ist auch materialecht.
Über die Milchkuranstalt ist bereits oben, was den Zweck anlangt, das Nötige gesagt; baulich ist nichts Bemerkenswertes zu erwähnen, höchstens, daß auch hier der große, mit breiten Schiebefenstern versehene Erker aus bearbeitetem Vorsatzbeton hergestellt ist, ebenso die Tragpfosten im Inneren des Gastraumes, dessen Wände ganz einfach mit niedriger Holzbekleidung versehen sind.
Zwischen Musiktempel und Milchkuranstalt einerseits und dem Kurbrunnen anderseits ist je eine Pergola eingebaut, deren Hölzer auf dünnen, bambusartig gestalteten Terrakottasäulen ruhen (geliefert von der Großherzoglichen keramischen Manufaktur). Die Metallteile der in den Nischen aufgestellten Brunnen sind von Professor Riegel, Darmstadt, ausgeführt und bis auf eins auch von diesem entworfen.
Der äußere Aufbau der Anlage ist mit Verwendung von Muschelkalk zu Säulen, Pfeilern und Gesimsen der Bestimmung entsprechend ziemlich luftig gehalten; die Wandelhallen haben weite Säulenstellung und darüber flache Dächer mit weit vorspringenden Sparrengesimsen. Die Wandflächen sind mit Porphyrgrau, die Gewölbe in den Hallen in demselben Material goldgelb geputzt. Die Dächer sind mit holländischen Pfannen mit Falzen, sogenannten Idealziegeln, aus Eisenberg i. d. Pfalz gedeckt, die Fußböden der Wandelhallen mit Basaltzementplatten der Firma Dern u. Ko. in Gießen belegt.“


Blick auf die Trinkkuranlage von der Dankeskirche aus
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0

Gartenhof, Kastanienplatz und Bauarbeiten

„Außer dem Gartenhof sind auch noch der sogenannte Kastanienplatz und der Platz zwischen Trinkhalle und Parkhotel neu hergerichtet worden. Letzterer bot deshalb Gelegenheit zu besonderer Ausbildung, weil er gegen die Kurstraße, an die er unmittelbar anstößt, etwa 1 m tiefer liegt; durch Anordnung einer scharrierten Betonmauer als Brüstung des Fußsteiges und eines Treppen- sowie eines Rampenzugangs mit Pergolen und schließlich einer vor dem Parkhotel herziehenden schmalen Terrasse mit Blumenrabatten war es möglich, diese früher etwas vernachlässigte Ecke des Parkes zu guter Wirkung zu bringen.
Mit den Bauarbeiten wurde am östlichen Teil im September 1910, am westlichen Teil und Kurbrunnen am 16. Oktober 1910 begonnen; am 18. Mai 1911 konnte das erste Frühkonzert abgehalten werden, da die Anlage äußerlich bis auf Anbringung der Gitter am Kurbrunnen und einiger Pergolen fertig war. Der innere Ausbau der Trinkhalle wird erst für 1912 fertiggestellt, ebenso der der Wohnungen.
Die ganze Anlage einschließlich aller Nebenanlagen, auch der gärtnerischen, ist zu 608 840 Mark veranschlagt, von denen noch etwa 25 000 Mark erspart werden.
Die Erd- und Maurerarbeiten führten die Bauunternehmer Peter Stamm III und J. B. Hofmann, beide in Bad Nauheim, die Steinhauerarbeiten der Hauptsache nach Georg Michel, Marktbreit, Pius Arnold, Reistenhausen und Mich. Leipold, Würzburg aus. Die Kunstschmiedearbeiten am Kurbrunnen sind von Artur Graefe in Gießen geliefert, während die umfangreichen Betonarbeiten von der Firma Rheinische Betonbaugesellschaft Mainz übernommen waren.
Entwurf und Ausführung erfolgte durch die Baubehörde für die Neubauten in Bad Nauheim unter Leitung und besonderer Bearbeitung des Unterzeichneten. Vorübergehend beschäftigt waren bei der Ausführung die Großherzoglichen Regierungsbaumeister Petry und Regierungsbauführer Engel.“[1]


[1] Wilhelm Jost: Die Neuanlagen von Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 103 (1911) S. 653-658.


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Beitragsbild:
Eingang zur Trinkkuranlage von Bad Nauheim vom Ernst-Ludwig-Ring aus.
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0


Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

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