Turmuhrwerk Bad Nauheim Jugendstilforum
Geschichten

Eine Turmuhr aus Darmstadt in Bad Nauheim

oder eben doch nicht

Die Geschichte einer Turmuhr in Bad Nauheim:

Im Jugendstilforum Bad Nauheim steht seit einer Weile ein durchaus großes Uhrwerk. Dass es ziemlich alt ist, das sieht man ihm schon von Weitem an. Kommt man näher heran, dann liest man auf einem aufgebrachten Schild „Georg Karp Darmstadt 1906“. Damit scheint nun alles klar zu sein, denn Georg Karp, der war Uhrmacher in Darmstadt so um 1906.

Klingt einfach, ist es aber nicht, denn das aufgebrachte Schild führt in die Irre und ist keinesfalls original, sondern erst später aufgebracht worden. Aber darauf muss man erst einmal kommen.
An dieser Stelle deshalb ein herzlicher Dank an das Deutsche Uhrenmuseum Furtwangen und insbesondere an Herrn Johannes Graf dessen Recherche die folgende Geschichte zu verdanken ist:

Uhrmachergeschäft Georg Karp Darmstadt
Uhrmachergeschäft Georg Karp Darmstadt

Die Uhrmacherfamilie Karp in Darmstadt

Auf dem Schild der Turmuhr liest man den Namen Georg Karp und den Zusatz „Darmstadt 1906“. Wer war dieser Georg Karp, der sich hier auf der Uhr verewigt hat?

Sucht man nach „Georg Karp“ und „Darmstadt“, dann stößt man schnell darauf, dass ein gewisser Georg Karp Uhrmacher war und dass es nicht nur einen Georg Karp gab, sondern deren mindestens zwei.
Georg, der Junior, besuchte von 1913 bis 1914 die Deutsche Uhrmacherschule in Glashütte. Sie war am 1. Mai 1878 auf Veranlassung des Zentralverbandes der Deutschen Uhrmacher feierlich eröffnet worden. Genauere Informationen über seinen weiteren Lebensweg waren bisher nicht zu finden außer der Nachricht, dass er bei einem Luftangriff am 11. September 1944 im Alter von 50 Jahren ums Leben kam. Georg junior war zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt, also wohl Geburtsjahrgang 1893 oder 94. Schaut man sich diese Lebensdaten an, dann ist klar, dass unmöglich er der Georg Karp sein kann, der uns auf dem Schild der Turmuhr begegnet, denn 1906 war er dann gerade einmal 13 oder 14 Jahre alt.
Um mehr Licht in die Geschichte der Firma und der beiden Georgs zu bringen wenden wir uns erst einmal dem anderen Georg Karp zu, dem Senior. Auch er war Uhrmacher, sogar Hoflieferant des Großherzogs von Hessen und bei Rhein und offenbar ein durchaus geschäftstüchtiger und Herr, der neuen Techniken aufgeschlossen gegenüberstand, denn im September 1903 vermerkte die Darmstädter Zeitung: „Der Vorsitzende, Oberbürgermeister Morneweg, teilt mit, daß von Hoflieferant Georg Karp ein Gesuch vorliegt, betreffend Anbringung von Uhren in den Wagen der elektrischen Straßenbahn, die Reklamezwecken dienen sollen. Dasselbe geht an die betreffende Deputation.“

Karl Karp - Uhrmacher- Damrstadt - Inhaber Uhrmachergeschäft Georg Karp
Karl Karp
Foto aus: AJU 1930

Die Karps: Georg – Karl und wieder Georg

Das Allgemeine Journal der Uhrmacherkunst (= AJU 1930, S. 369) berichtete 1930 über das 70-jährige Bestehen des Uhrmachergeschäfts Georg Karp. Es wurde also im Jahr 1860 gegründet. Wie alt Georg Senior zu diesem Zeitpunkt war wissen wir nicht. Aber wir erfahren aus dem Text einiges über die Firmengeschichte, seinen Sohn und sein Todesjahr: 1888.
In aller Stille beging kürzlich Herr Kollege Karl Karp die Feier des 70jährigen Bestehens seines Geschäfts.“ steht im Journal der Uhrmacherkunst. Weiter heißt es zur Firmengeschichte.

„Die Firma Gg. Karp wurde 1860 von Herrn Georg Karp im Hause Schützenstraße 2 gegründet. Aus kleinsten Anfängen heraus entwickelte sich das Geschäft von Jahr zu Jahr, und als 1888 der Gründer starb und sein Sohn Karl die Führung übernahm, mußte in die Ludwigstraße 20 übergesiedelt werden. Das schmucke Äußere des Geschäfts zeugt von handwerklichem Fleiß und kaufmännischer Gediegenheit, deren Erbe einst der Enkel des Gründers Herr Georg Karp jun., sein wird, der heute als Geschäftsführer mitwirkt, während sein älterer Bruder, ebenfalls der Überlieferung seines Hauses getreu, in der Alpina-Genossenschaft [DUGENA, Anm. Verf.] tätig ist.
Zu gleicher Zeit feierte Herr Kollege Karp sein 50jähriges Berufsjubiläum. Wir wollen dabei nicht die Verdienste vergessen, die sich Herr Kollege Karp in organisatorischer Beziehung um das Uhrmachergewerbe erworben hat, nämlich als langjähriger Obermeister der Uhrmacherinnung Darmstadt und als einstiger Vorsitzender des Unterverbandes Hessen.“

Uhrengeschäft Georg Karp Darmstadt
Georg Karp Uhren- und Goldwaren-Geschäft in Darmstadt
Foto: AJU 1930

Durch einen Vermerk in der Zeitschrift Die Uhrmacher-Woche aus dem Jahr 1928 wissen wir, dass die Firma zwischenzeitlich ihre Rechtsform änderte: „Georg Karp, Uhrmacher in Darmstadt. Die Gesellschaft ist aufgelöst. Geschäft samt Firma auf den seitherigen Gesellschafter Karl Karp als Einzelkaufmann übergegangen.“
Der hier erwähnte Karl Karp, also der Sohn des Gründers, starb am 3. Januar 1936. Auch das erfährt man durch eine kurze Notiz im Allgemeinen Journal der Uhrmacherkunst (AJU 1936, S. 32). Einige Monate später, noch im gleichen Jahr meldete das Journal (S. 236):

„Darmstadt. Georg Karp, Uhrmacher, Ludwigsstraße 20. Geschäft samt Firma ist auf Anna Maria, geborene Heyl, Witwe des Uhrmachermeisters und Kaufmanns Peter Paul Georg Karl Karp in Darmstadt, übergegangen. Die Prokura Karl Karp, Ehefrau, Anna, geborene Heyl in Darmstadt, ist erloschen. Georg Karp, Uhrmacher in Darmstadt, ist zum Prokuristen bestellt.“


Da haben wir ihn also wieder unseren Georg Karp junior. Er war also nach seiner Ausbildung in die von seinem Großvater gegründete Firma eingestiegen und hat dann nach dem Tod seines Vaters 1936 die Leitung der Uhrmacherfirma Georg Karp Darmstadt übernommen.

Werbeanzeige Firma Georg Karp Hofuhrmacher - Darmstadt
Werbeanzeige der Firma Georg Karp Darmstadt
aus: Katalog der Hessischen Landesausstellung 1908

Eine Uhr aus dem Harz in Bad Nauheim

Soweit die Daten und Fakten, die über die Uhrmacherfamilie Karp aus Darmstadt und ihre Firma bisher herausgefunden werden konnten. Doch was ist nun mit der Turmuhr?

Nun, sie stammt eigentlich von der „Fabrik für Turmuhren und elektrische Uhren J. F. Weule“ in Bockenem am Harz.
Die Firma wurde am 20. Oktober 1836 vom Uhrmacher Johann Friedrich Weule (1811–1897) gegründet. Das Unternehmen aus dem heutigen Landkreis Hildesheim stieg schnell auf, expandierte und wurde zu einem der führenden Hersteller für Turmuhren in Deutschland.

Turmuhr Bad Nauheim - J.F. Weule - Musterbuch 1925
Die Turmuhr und die Elektrizität
Musterbuchseite der Firma J.F. Weule aus dem Jahr 1925 mit Abbildung des Bad Nauheimer Badehauses (oben links)

Das „Verzeichnis gelieferter Uhren bis Juli 1925“ der Firma Weule vermerkt auch tatsächlich eine Uhr, die nach Bad Nauheim geliefert wurde und zwar ins „Badehaus“. Das betreffende Badehaus samt Uhr findet sich im „Musterbuch“ der Firma aus dem Jahr 1925 abgebildet und zwar im Kapitel „Die Turmuhr und die Elektrizität“.
Dem Text kann man entnehmen, dass die Turmuhren der Firma Weule sowohl mit Stark- als auch mit Schwachstrom betrieben werden konnten. Auch die Zifferblätter konnten teilweise erleuchtet werden und die Uhrgewichte „selbsttätig“ aufgezogen. Aber diese Turmuhren waren auch Teil von Uhrenanlagen mit Klingelsignalen, Kontrollapparaten und anderen Funktionen.
Das Uhrwerk von Bad Nauheim war, da die mechanische Hemmung fehlt, offenbar Teil einer Uhrenanlage, die von einer Hauptuhr gesteuert wurde. Zu diesen Uhrenanlagen heißt es im Text des Musterbuchs:

„Wenn in diesem Musterbuche von elektrischen Uhrenanlagen die Rede ist, so handelt es sich um Uhrensysteme, die aus einer Zentralstelle bestehen, von welcher aus beliebig viele sympathische Uhren (Nebenuhren) auf elektrischem Wege fortbewegt werden. Die Zentralstelle ist entweder ein Präzisionsregulator […], Normal-, Zentral- oder Mutteruhr genannt, oder eine Turmuhr, die an Turmzifferblättern mechanisch zeigt, an Glocken schlägt und eine unbeschränkte Zahl von sympathischen Uhren antreibt […]. Nebenuhren sind in den verschiedensten Ausführungen und Größen lieferbar, wie auch die mechanisch zeigende und schlagende Turmuhr als solche in eine elektrische Uhrenanlage eingeschaltet werden kann. Das Pendel wird dann außer Betrieb gesetzt und die Turmuhr mit einer elektrischen Auslösung versehen […].
Während Nebenuhren ohne Aufzug gehen, muß die an die Normaluhr angeschlossene Turmuhr mechanisch oder elektrisch aufgezogen werden.
Schließlich können durch die Turmuhr elektrische Klingelsignale betätigt werden. Die Signalzeiten sind für kurze Zeitabschnitte einstellbar und eignen sich daher besonders für Schulen und Fabriken.“

Turmuhr Bad Nauheim
Uhrwerk J.F. Weule - Musterbuch 1925
Uhrwerk für große Turmuhren der Firma J.F. Weule
Musterbuchseite 1925


Ja, und anscheinend auch für Badehäuser.
Das hier nun in Badehaus 3 stehende Exemplar ist offenbar ein sog. „Großes Turmuhrwerk für wöchentlichen Aufzug mit vier Viertel- und Vollschlag“, dem allerdings wie es scheint die Schlossscheibe zur Steuerung des Schlagwerks fehlt.

Turmuhren im Sprudelhof von Bad Nauheim
Die historische Postkarte zeigt in beiden Türmen Uhren

Wieviel Uhren gab es im Sprudelhof von Bad Nauheim?

Wer heute in den Sprudelhof von Bad Nauheim kommt, der sieht eine Uhr. Sie befindet sich im – vom Kurpark aus betrachtet – rechten Turm. Das widerspricht der Symmetrie, die die Anlage eigentlich sonst überall auszeichnet. Der linke Turm weist kein Zifferblatt und keine Zeiger auf.
Viele Geschichten werden erzählt warum das so ist.
Fakt ist aber, dass dies nicht immer so war. Betrachtet man alte Fotos, so sieht man, dass zeitweilig beide Türme Zifferblätter und Zeiger hatten. Auch die Entwurfszeichnung von Wilhelm Jost aus dem Jahr 1904 sah für beide Türme Zifferblätter vor. 

Man hat also, was die Uhren anbelangt, hier im Sprudelhof immer mal gewechselt. Mal hatten beide Türme Uhren und dann mal wieder nicht. Surprise! Surprise! genau wie bei dem Uhrwerk.

Abbildung 1: Entwurfszeichnung Wilhelm Jost für den Sprudelhof Bad Nauheim 1904 mit zwei Turmuhren – Hessisches Landesarchiv Darmstadt R4 6205
Abbildung 2: Der neue Uhrenturm – Hessisches Landesarchiv Darmstadt R4 26088
Abbildung 3: Historische Postkarte – Die Turmuhr von Bad Nauheim

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