Casino und Musiktempel – Das Kurhaus von Bad Nauheim entsteht
Schaut man sich die großen und berühmten Kurorte – die Modebäder des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – an, dann fällt eines auf: sie alle hatten ein Kurhaus und die meisten von ihnen auch ein Casino. Spätestens, wenn man sich dies vor Augen führt, dann wird deutlich: Gesundheit, Wellness und Vergnügen gingen Hand in Hand in jenen Bädern und so natürlich auch in Bad Nauheim.
Auch hier war es – wie in vielen anderen Kurstädten auch – ein französischer Spielbankbetreiber, der dies alles möglich machte. Doch beginnen wir die Geschichte am Anfang und gehen wir zurück zum Beginn der 1850er Jahre in das damals noch eher kleine und ein wenig verschlafene Söderdorf, das sich gerade auf den Weg macht ein Weltbad zu werden:
Kein Kurort ohne Kurhaus und ohne Casino
Denken wir an Baden-Baden, an Bad Homburg oder auch Bad Aachen und viele andere bekannte und berühmte Kurorte, dann vereint sie alle eins: sie haben bzw. hatten ein Casino. Ja, und viele dieser Casinos wurden von Franzosen ins Leben gerufen. Der Grund dafür war ein relativ einfacher und vor allem ein wirtschaftlicher: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die öffentlichen französischen Spielhäuser berühmt. Wer spielen wollte, der reiste nach Frankreich, um es dort zu tun. Bald aber regte sich Widerstand gegen die überall wie Pilze aus dem Boden schießenden Spielhäuser in privater Hand und vor allem die Stadt Paris versuchte mit restriktiven Maßnahmen der überbordenden Spielwut Herr zu werden. „Bestimmte Personen wurden vom Besuch ausgeschlossen, die Spielstunden und –tage beschränkt, zu niedrige Einsätze verboten etc.“[1] Die Folgen waren ganz klar: die Einnahmen der privaten Spielhäuser sanken drastisch. „Schließlich beschlossen bürgerliche Vertreter der Kammer “Juste milieu“, nach der Aufhebung der Lotterie, 1837 die Schließung der Spielhäuser.“[2]
Das bedeutete das Aus für das privat finanzierte Glücksspiel in Frankreich. Die Unternehmer machten sich also auf die Suche nach anderen Einnahmequellen und nach anderen Orten an denen sie ihr Geschäft betreiben konnten. Fündig wurden sie in Deutschlands Badeorten.
Jacques Roland Viali und Bad Nauheim
„Schon seit der Antike waren Heilquellen und Badeorte bevorzugte Spielorte, die vermögende Gäste anlockten und zwar nicht nur um die Gesundheit zu fördern oder Krankheiten zu heilen, sondern auch um sich ausgiebig zu amüsieren. Das Heilbad wurde zu einem florierenden Wirtschaftsfaktor. Neben Aktivitäten wie Schwimmen, Bootsfahren und anderen Zerstreuungen, besuchte man die ersten casinoähnlichen Etablissements und erfreute sich am Glücksspiel. Die Badeorte gerieten in zweifelhaften Ruf, galten sie doch auch als Ansammlung wahrer Spielhöllen. Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die ersten richtigen Spielcasinos in den Kur- und Badeorten errichtet, von denen besonders Baden-Baden internationale Bedeutung erhielt.“[3]
Auch das aufstrebende Heilbad Bad Nauheim wurde zum Ziel
eines solchen Glücksspielunternehmers: Jacques Roland Viali war sein Name.
Wirklich viel weiß man nicht über diesen Mann, der die Geschichte Bad Nauheims
so maßgeblich beeinflusste und die letztlich entscheidenden Impulse setzte, um
aus dem verschlafenen Söderdorf einen Kurort von Weltruf zu machen. Sein
Einfluss aber ist nicht zu unterschätzen und über 100 Jahre nach seinem
Erscheinen war in der Wetterauer Zeitung zu lesen: „Ohne Viali und Cie. wäre
Bad Nauheim von heute wahrscheinlich nicht. Denn Nauheim wurde ja Stadt, als
Herr Viali nach hier kam und wäre ohne ihn vielleicht noch ein Dorf gebelieben.“[4]
Ein Casino für Bad Nauheim – zwischen Kritik und Konzession
Selbstverständlich konnte Kritik vor allem von bürgerlicher und ärztlicher Seite nicht ausbleiben, als sich Anfang der 1850er Jahre die ersten Gerüchte verdichteten, dass auch Bad Nauheim nun ein Casino erhalten sollte. Dabei sollte erwähnt werden, dass Nauheim zu diesem Zeitpunkt weder Bad noch Stadt war. Zur Stadt erhoben wurde Nauheim erst im Jahr 1854 und den Titel „Bad“ erhielt man erst 1869.
Vor allem Friedrich Bode (1811-1899) wandte sich gegen das Glückspiel im hessischen Kurort. Im Jahr 1837 hatte er sich als Badearzt in Nauheim niedergelassen, hatte hier die erste Apotheke eröffnet und war maßgeblich am Aufstieg zum international anerkannten Badeort beteiligt. Glücksspiel aber, das wollte er in diesem beschaulichen und der Heilung gewidmeten Ort nicht sehen und schrieb man können „auf das alle Leidenschaften entfesselnde, Gesundheit und Vermögen zerrüttende Hasardspiel“ verzichten.[5] Später übrigens revidierte er seine Ansichten ein wenig und fand, dass es doch gar nicht so verkehrt sei auch an die angenehmen Seiten des Badelebens und eines Kuraufenthalts zu denken.
Am 20. Dezember 1853 war es soweit: Jacques Roland Viali schloss einen Vertrag mit der kurfürstlichen hessischen Regierung über die Errichtung einer Spielbank in Bad Nauheim. Die Laufzeit des Vertrages sollte 24 Jahre betragen. Um diesen Vertrag zu bekommen, musste Viali viele Auflagen erfüllen. So sollte er Sorge tragen für die Einrichtung eines Kurparks, den Bau eines Kurhauses in Bad Nauheim und einer Kaufhalle. Das schöne alte Teichhausschlösschen sollte er umbauen und dort ein Restaurant und Café eröffnen. Auch eine Milch- und Molkeanstalt hatte er zu gründen, ebenso eine Trinkhalle. Außerdem oblagen ihm die Vervollständigung der Badeanlagen und der Unterhalt einer Kurkapelle.
Eine provisorische Spielbank und die Stadtrechte
Viel Geld war nötig, um all dies in die Tat umzusetzen, umso wichtiger war es dementsprechend schnell mit dem Geldverdienen anzufangen. Und das tat Viali auch: bereits am 1. Januar 1854 rollte die erste Roulette-Kugel.
Gerollt ist diese so entscheidende Kugel in einer provisorischen Spielbank, die im „Conversationshaus“, das noch ein recht simpler Holzbau war, eingerichtet wurde. Neben dem Roulette-Saal gab es hier auch ein Lesekabinett, einen Konzert- sowie einen Tanzsaal.
Die Belohnung für diesen ersten Bemühungen folgte quasi auf dem Fuße: am 5. Oktober 1854 erhielt Nauheim endlich Stadtrechte.
Und Jacques Roland Viali tummelte sich weiter: schnell gab es ein 24-köpfiges Kurorchester unter der Leitung von Edmund Neumann, rund um den großen Teich wurden Wege angelegt, Bänke aufgestellt und auch Boote angeschafft, um für Kurzweil und Bewegung bei den Kurgästen zu sorgen. In der neuen Stadt Nauheim entstanden Alleen und neue breite und repräsentative Straßenzüge. Im Jahr 1857 wurde oben auf dem Hausberg der Stadt – dem Johannisberg – ebenfalls ein Ausflugslokal errichtet und Heinrich Siesmayer erhielt den Auftrag einen modernen Kurpark im Stil eines englischen Landschaftsparks anzulegen.
Das Kurhaus von Bad Nauheim
Wer wirklich als verantwortlicher Architekt hinter dem Bau des Kurhauses von Bad Nauheim steckt, darüber streiten die Geister seit geraumer Zeit. Die meisten Autor*innen gehen davon aus, dass es sich beim Architekten dieses italienisch anmutenden Komplexes um den Kasseler Baumeister und kurfürstlichen Hofbaudirektor Julius Eugen Ruhl (1796-1871) handelt. Mit beteiligt war auf jeden Fall aber auch der Kasseler Architekt Gottlob Giacomo Engelhard (1812-1876), Sohn von Johann Daniel Wilhelm Eduard Engelhard (1788-1856). Der war zu seiner Zeit war er ein hochgelobter Architekt, der vor allem für seine ungewöhnlichen Kirchenbauten bekannt war. Goethe selbst schrieb im Jahr 1811 über Daniel Engelhard: „Man wollte behaupten, ich habe ihn in früherer Zeit als Musterbild seines Kunstgenossen in den „Wahlverwandtschaften“ im Auge gehabt.“[6]
Wie schon sein Vater war auch Gottlob Engelhard Italien und dem italienischen Baustil sehr eng verbunden, was den Stil des Nauheimer Kurhauses erklären könnte. Wer auch immer von diesen beiden Architekten am Ende die Federführung hatte – es entstand ein beeindruckendes Gebäude im italienischen Renaissancestil, das die Stadt nachhaltig veränderte und einen Hauch von großer weiter und vor allem reicher Welt nach Bad Nauheim zauberte.
Im Herbst des Jahres 1858 hatte die neue Spielbankgesellschaft den Bau begonnen und zunächst die Terrassenstraße angelegt, die hinter dem Gebäude entlangführt. Die Anlage war schwierig und zog sich einige Jahre hin. Dann im Sommer 1862 konnte endlich mit den Bauarbeiten am eigentlichen Kurhaus begonnen werden. Seiner Bestimmung als Herberge für die Spielbank und Musikhaus übergeben wurde das neue Kurhaus Bad Nauheim endlich glücklich im Jahr 1864.
Das Kurhaus Bad Nauheim für Fremde
Im Fremdenführer für Bad Nauheim aus dem Jahr 1869 steht zu lesen:
„Dieses 300 Yard (274 Meter, Anm. d. Red.) lange stattliche Gebäude aus dem dreistöckigen Mittelbau und einstöckigen Flügeln bestehend, kann mit ähnlichen Gebäuden in Homburg, Wiesbaden und Baden-Baden getrost concurriren, ja übertrifft sie vielleicht in seiner einfachen Eleganz.
Durch das Hauptportal tritt man in das sehr schöne, mit Grün verzierte Vestibül, welches, von schlanken Säulen getragen, in zwei hallenartige Corridors ausläuft. Dem Portal gegenüber ist der Concert- und Tanzsaal, welcher 1.500 Personen fassend, die Höhe der drei Etagen ausfüllt und am unteren Ende durch den Musiktempel abgeschlossen ist. Getragen von riesigen Marmorsäulen, mit prachtvollen Deckengemälden und Ornamenten verziert, durch drei goldene Kronleuchter mit 300 Gasflammen beleuchtet, sucht er an Schönheit und Pracht seinesgleichen.
Die alltäglichen Mittags- und Abendconzerte, die bei günstigem Wetter im Freien gegeben werden, sind bei Regen in diesem Saal, der außerdem zu jeder Zeit den Fremden geöffnet ist. Die am Eingang stehenden Portiers sind sowohl zur Aufrechterhaltung der Ordnung als zur Bedienung der Fremden verpflichtet. Der linke Flügel enthält zwei prachtvoll ausgestattete Spielsäle und das Lesekabinett; der rechte den in getäfeltem Holz gearbeiteten und mit Emblemen der Tafel aufs Sinnigste verzierten Speisesaal, Kaffee-, Restauration- und Billardzimmer, Garderoben usw. Eine Treppe des rechten Flügels führt auf die Galerie des Tanzsaals und zu einem nach vorn liegenden kleinen Concertsaal, in welchem ein guter Flügel zur Benutzung der Fremden steht. Von einem großen Balkon vor dem kleinen Concertsaal übersieht man den Park in seiner ganzen Schönheit.“[7]
[1] Ulrike Näther: Zur Geschichte des Glücksspiels, S. 4.
[2] ebd.
[3] ebd.
[4] Zitiert nach Annette Hausmanns: Zeiträume. Geschichte(n) rund um das Dolce Bad Nauheim, S. 17.
[5] Zitiert nach: ebd.
[6] Erich Trunz (Komm.): Goethe. Johann Wolfgang von Goethe. Werke, Kommentare und Register. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band 6, Romane und Novellen I., München 1981, S. 721.
[7] Zitiert nach Annette Hausmanns: Zeiträume. Geschichte(n) rund um das Dolce Bad Nauheim, S. 22.
Beitragsbild zu Kurhaus Bad Nauheim:
Das Kurhaus Bad Nauheim mit Terrasse ca. 1912
historische Postkarte
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen
Ein Kommentar
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