Bad-Nauheim-Debatte: Einstein und die Relativität
Kurorte, zumal solche, die sich des Titels „Weltbad“ rühmen dürfen, sind berühmt dafür, dass in ihnen oftmals Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung stattgefunden haben. Denken wir nur an die Emser Depesche oder die Karlsbader Beschlüsse.
Auch Bad Nauheim ist so ein Kurort in dem sich weltgeschichtlich Bedeutsames ereignet hat, nur weiß es kaum jemand. Wohl auch, weil das weltgeschichtliche Ereignis kein politisches war, sondern ein naturwissenschaftliches. Und obwohl der Mann, der die Hauptperson dieses Ereignisses war durchaus in beinah allen Geschichtsbüchern zu finden ist, ist dieses Ereignis der Welt von heute nahezu unbekannt oder haben Sie schon einmal von der Bad-Nauheim-Debatte gehört?
Sie werden sich jetzt sicherlich fragen um was für ein Ereignis und um welchen Mann es denn hier wohl gehen kann, vor allem, wenn Sie an die Überschrift dieses Beitrags denken.
Nun, es geht um Albert Einstein und seine berühmte Relativitätstheorie. Deren Inhalt zwar für uns Nicht-Naturwissenschaftler:innen, bzw. Nicht-Physiker:innen bei aller Einfachheit von „Zeit ist relativ“ doch eher kompliziert ist, die aber dennoch bis heute in aller Munde ist und deren berühmte Formel des e=mc2 eigentlich jede:r schon einmal irgendwie und irgendwo gehört oder auch gelesen hat.
Mit Bad Nauheim allerdings bringt diesen berühmten Physiker, dessen Popularität an die eines Popstars erinnert, wohl eigentlich niemand in Verbindung und dennoch hat dieses kleine Weltbad Bad Nauheim in der Wetterau am Fuß des Taunus gelegen, in der Physik Geschichte geschrieben und wie es dazu kam, das erzählt der Literaturwissenschaftler und Autor Wolfgang Martynkewicz in einem neu erschienenen Maro 20er-Jahre-Heft mit dem Titel „Das Schwanken des Bodens unter den Füßen. Einstein im Badehaus 8“.
„Die neue Welt der Relativitäten“
Wolfgang Martynkewicz führt uns in diesem Maro Heft #7 in die Welt des noch recht jungen Albert Einstein (1879-1955). In diese Welt, die gerade den 1. Weltkrieg überstanden hatte und die geprägt war von Umbrüchen, von Ängsten, aber auch von Hoffnungen und von Aufbrüchen. Es war die Zeit der jungen Weimarer Republik, die Zeit, in der Deutschland gerade Demokratie lernte und dabei oftmals scheiterte; die Zeit eines neuen Antisemitismus, der auch von gebildeten Schichten, von Wissenschaftlern getragen wurde. Gleichzeitig war es die Zeit pazifistischer Bewegungen und die Zeit von Menschen, die sich gegen den Antisemitismus stellten. Und es war die Zeit der Wissenschaften, die Zeit, als Wissenschaftler zu Ikonen werden konnten und zu gefeierten Stars, die die Schlagzeilen der Tageszeitungen bestimmten.
Vor diesem Hintergrund geht Martynkewicz „der Frage nach: Warum wurde Einsteins Relativitätstheorie als bedrohlich, sein „Neues Denken“, ähnlich wie andere progressive Tendenzen der anbrechenden 20er Jahre, als jüdisch und „modernistisch“ angegriffen?“
Dabei kommen zahlreiche Zeitgenossen zu Wort, so beispielsweise Harry Graf Kessler (1868-1937), der Kunstsammler, Mäzen, Schriftsteller, Publizist, Pazifist und Diplomat, der als Mitverantwortlicher der Kunstzeitschrift PAN dem progressiven Jugendstil in Deutschland einst mit den Weg gebahnt hatte.
Auch Zitate Kurt Tucholskys (1890-1935) aus der Zeitschrift Weltbühne vermitteln das „Gefühl einer allgemeinen Bodenlosigkeit“, die diese beginnenden 1920er Jahre so prägten und in denen nichts mehr so war wie vor diesem 1. Weltkrieg. Vor allem aber die Zitate des Schriftstellers Alexander Moszkowski (1851-1934), der mit seinem Buch „Einstein. Einblicke in seine Gedankenwelt“ zeigen, dass die Menschen der damaligen Zeit sich in einer Welt fühlten, die „jenseits von Richtig und Falsch“ war.
So entsteht ein intensives und facettenreiches Bild jener Epoche, in der die Relativitätstheorie entstand und sich ihren Weg nicht nur in der Wissenschaft, sondern eben auch in der gesamten Bevölkerung bahnte.
Die Bad-Nauheim-Debatte
Im Vorfeld der Bad-Nauheim-Debatte Am 23. September 1920 herrschte in der Stadt enormer Betrieb. Das Weltbad war Menschenmassen gewohnt, schon von den Aufenthalten der drei Kaiserinnen Elisabeth von Österreich, Alexandra von Russland und Auguste Viktoria von Deutschland, aber das, was an diesem Tag passierte, das war dann doch wohl noch eine Spur mehr, denn vor Badehaus 8 drängten sich gefühlte tausende von Schaulustigen und Wissenschaftler:innen, die Einlass begehrten.
Der Grund war der angesagte Höhepunkt der Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte, die vom 19. bis 25. September 1920 zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges, hier in Bad Nauheim stattfand. 2.600 Teilnehmer:innen hatte die Versammlung. Eine enorme Zahl für den Kurort, der selbst nur gut 5.000 Einwohner hatte.
Wolfgang Martynkewicz beschreibt genau und sehr eindrücklich die Geschehnisse rund um angesetzte Debatte zwischen Albert Einstein und seinem schärfsten Kontrahenten, dem Nobelpreisträger Philipp Lenard. Er geht ein auf diese Stimmung, die offenbar jedem anders schien, die manche als gereizt empfanden, andere eher als ganz normal bis höflich und er thematisiert auch sehr genau und ausgewogen die antisemitischen Töne sowohl der Debatte, als auch die Philipp Lenarts, eines ausgewiesenen Antisemiten, der seinem Rassismus vor allem in seiner 1936 erschienenen „Deutschen Physik“ freien Lauf ließ.
„Einstein im Badehaus 8“
Geprägt wird das Maro-Heft über die Bad-Nauheim-Debatte um die Relativitätstheorie vor allem auch von den Bildern Gabriela Jolowiczs. Die 1978 geborene Künstlerin ist bekannt für ihre detailreichen schwarz-weiß Holzschnitte.
Diese Bilder zeichnen nicht nur die Geschehnisse in Bad Nauheim nach und lassen uns in die Atmosphäre dieses Badehauses eintauchen, dass leider heute nicht mehr steht, sondern sie versuchen auch die Idee der Relativitätstheorie Einsteins in Bildern einzufangen. So entsteht ein atmosphärisch ausgesprochen dichtes Heft, das die Lesenden zum Nachdenken bringt und nicht unbewegt zurücklässt.
Bilder und Text des Heftes wirken zusammen und lassen im Kopf beim Lesen und Schauen tatsächlich die Welt vom September 1920 wieder lebendig werden, man glaubt fast die Menschen zu sehen, wie sie vor dem Badehaus auf Einlass warten und die Stimmen zu hören, wie Friedrichs von Müller, der die Debatte leiten sollte und sie mit den Worten begann: „Wissenschaftliche Fragen von solcher Schwierigkeit und solch hoher Bedeutung wie die Relativitätstheorie, lassen sich nicht in Volksversammlungen mit demagogischen Schlagwörtern und in der politischen Presse mit persönlichen Angriffen zu Abstimmung bringen, sie werden hier die sachliche Würdigung finden, die ihr genialer Schöpfer verdient.“
Das Maro-Heft „Das Schwanken des Bodens unter den Füßen. Einstein im Badehaus 8“ ist zum Preis von 16 Euro direkt beim MaroVerlag (ISBN: 978-3-87512-622-8 ) erhältlich oder auch bei Amazon.
Beigegeben sind dem Heft ein Poster und ein Lesezeichen.
An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Gabriela Jolowicz für die Kontaktaufnahme und die Zusendung eines Exemplars des Maro-Hefts „Das Schwanken des Bodens unter den Füßen. Einstein im Badehaus 8“ bedanken.
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