Inhalatorium Stadtbücherei Bad Nauheim
Inhalatorium

Das neue Inhalatorium in Bad Nauheim

Das neue Inhalatorium war das erste neue Gebäude, das Wilhelm Jost als Architekt in Bad Nauheim erbaute. Noch bevor ernsthaft darüber nachgedacht wurde auch einen neuen Sprudelhof, neue Badehäuser und eine neue Trinkkuranlage zu errichten, erging der Auftrag für ein neues Inhalatorium.

Dabei hat das „neue Inhalatorium“ noch nicht viel gemein mit den Bauten, die Wilhelm Jost hier etwa vier Jahre später errichtete, denn von außen passt es sich dem ursprünglichen Stil der alten Badehäuser an und ist in Fachwerkoptik errichtet. Im Innern aber und an seinen Fenstern erkennt man bereits den Jugendstil, den Jost hier in Bad Nauheim einige wenige Jahre später so perfekt in Szene setzen sollte.

Türe Inhalatorium Bad Nauheim
Eingang des Bad Nauheimer Inhalatoriums
Foto: Hessisches Landesarchiv Darmstadt R4 26275

Den Grund für diese, sagen wir: stilistische Diskrepanz, beschrieb Wilhelm Jost in seinen von Britta Spranger veröffentlichten Memoiren so:

“Für den Bau lag ein Entwurf vor, den ich im ganzen beizubehalten hatte, dessen Fachwerk – es durfte in Bad Nauheim damals nur in Fachwerk gebaut werden wegen des zerstörenden Einflusses der Sole – so dumm und wesenlos war, daß ich mich zunächst hinsetzte und alles auf Grund meiner besonderen Fachwerkstudien umzeichnete. Auch für das Innere lehnte ich mich an mittelalterliche Beispiele für Holzverkleidungen, Pfeilerstellung und dergleichen an.
[…]
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich ihn [Architekt Hofmann, dem die künstlerische Leitung der staatlichen hessischen Hochbauten oblag] eines Tages fragte, ob er damit einverstanden wäre, wenn ich die Nauheimer Bauten in freier Weise, ohne ängstliche an historischen Formen zu kleben, ausführte. Er stimmte sofort zu.
[…]
Beim Neubau des Inhalatoriums bin ich auch mit meinen Änderungen selbständig vorgegangen; leider wurde der Gesamtaufbau mit seinem Mittelgiebel (der Bau auf späteren Ausbau vorgesehen, aber nie fertiggestellt, so daß dieser Mittelgiebel seitlich steht) und dem seitlichen Risalit kein echtes Zeugnis seiner Zeit, in der seine Formen gehalten sind, aber auch überhaupt kein Baugebilde einheitlicher Formung.”

Wilhelm Jost: Erinnerungen aus meinem Leben, in: Führer durch den Sprudelhof Bad Nauheim, hg. v. Britta Spranger, Mainz 2000, S. 68-70.

Im Jahr 1904 schilderte Wilhelm Jost im Zentralblatt der Bauverwaltung detailliert den Bau des Inhalatoriums und beschäftigte sich dabei sogar mit den Medizintechnischen Grundlagen der Inhalationstherapie. So erfahren wir nicht nur etwas über die architektonische Komponente, sondern eben auch über die medizinhistorische:


Inhalationsapparat
Inhalationsapparat
aus: The Richmond medical journal” (1868), S. 363.

Die Inhalationstherapie und die Medizintechnik

„Das Bestreben, durch Einatmung von Dünsten einen heilenden Einfluß auf die Erkrankung der Atmungsorgane auszuüben, geht |zurück bis auf die ältesten uns bekannten Zeiten“.[1]*) Aber erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gewann die Inhalationsbehandlung an Bedeutung durch die Erfindung einer Reihe von sinnreichen Apparaten, die die Einatmung von Flüssigkeiten und in Flüssigkeiten aufgelöster Körper gestatten. Dazu kam die sogen. pneumatische Behandlung der Lunge und des Herzens, bei der mit verdünnter und verdichteter Luft gearbeitet wird; hier ist die Wirkung eine mehr mechanische (Lungengymnastik). Bei geeigneter Einrichtung der pneumatischen Apparate kann aber auch mit der Luft zerstäubte Flüssigkeit eingeatmet werden. Die zu inhalierende Flüssigkeit kann auf verschiedene Art zerstäubt werden, entweder durch Anprallen eines Flüssigkeitsstrahls an eine feste Platte oder dadurch, daß ausströmende verdichtete Luft mit der Flüssigkeit zusammentrifft, diese mit fortreißt und zerstäubt, wobei Luft und Flüssigkeit aus einer Oeffnung austreten, oder endlich dadurch, daß verdichtete Luft die Flüssigkeit aus einer zweiten zur Luftröhre senkrecht stehenden Röhre ansaugt und dann zerstäubt. Im ersten Fall stellt die Flüssigkeit unter Druck, im zweiten und dritten die Luft.
Bei dem von Wassmuth angegebenen Apparat, der auf dem ersten Grundsatz beruht, wird die Flüssigkeit unter einem Druck von 6—8 Atmosphären in drei feinen auf einen Punkt gerichteten Strahlen ausgetrieben und dadurch zerstäubt; die feinen Teilchen werden dann wiederholt gegen gewölbte Flächen geschleudert und treten schließlich in den Raum aus. Die gröberen Teile bleiben an den Wänden des Apparates hängen und fließen zurück nach dem Speisebehälter der Pumpe. Auf dem zweiten Grundsatz beruhen unter anderen die Apparate von Schnitzler, Göbel und Heyer, die mit einem Luftdruck von 1 1/2 Atmosphären arbeiten. Nach dem dritten endlich sind die Apparate von Bergson, Siegle, Oertel, Göbel und Heyer und andere gebaut. Für die pneumatische Behandlung sind ebenfalls eine Reihe von Systemen im Gebrauch, wobei allgemein die im Wasser schwimmende mit Luft gefüllte Glocke durch verschiedene Belastung zur Erzeugung von verdichteter und verdünnter Luft benutzt wird. Ingenieur Göbel in Bad Ems stellt sehr vollkommene Apparate her, die in größerer Anzahl gleichzeitig mittels eines eigenartigen Pumpwerks. (System von schwimmenden Glocken) betrieben werden. Das Füllwasser kann durch Anschluß an die Wasserleitung ständig erneuert werden. Alle diese Inhalationsapparate erfordern Vorrichtungen zur Erwärmung der einzuatmenden Inhalationsluft oder Flüssigkeit, diejenigen zur Inhalation zerstäubter Flüssigkeit auch Einrichtungen zur Ableitung des Auswurfs. Die Verschiedenartigkeit der einzelnen Apparate bezw. der Inhalationsmethoden bedingen für jede einzelne Methode die Aufstellung besonderer Pumpen, die dann zweckmäßigerweise auch durch besondere Motoren angetrieben werden, da ein gemeinsamer Antrieb unwirtschaftlich und auch störend wäre.“

Medizintechnik Bad Nauheim frühes 20. Jahrhundert
Medizintechnik in Bad Nauheim zur Zeit von Wilhelm Jost
Foto: Hessisches Landesarchiv Darmstadt R4 6711

neues Inhalatorium Bad Nauheim
Das neue Inhalatorium von Bad Nauheim
aus: Anonym: Das neue Inhalatorium in Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 25 (1904) S. 160-161, hier S. 161.

Die Ausgestaltung des neuen Inhalatoriums in Bad Nauheim

„In Bad Nauheim, dessen warme Heilquellen rühmlichst bekannt sind wegen ihrer außerordentlichen Erfolge bei Herzleiden, Gicht und anderen Krankheiten, wird die Inhalationskur von den Aerzten als Ergänzung zur Badekur verordnet. Bis zur Errichtung des neuen Inhalatoriums wurde in einem dazu nachträglich hergerichteten Raum der Trinkhalle inhaliert. Der Neubau wurde im Frühjahr 1901 beschlossen, im Herbst desselben Jahres begonnen. Mit Rücksicht darauf, daß das Gebäude bereits im Sommer 1902 in Betrieb genommen werden sollte, also in den Wintermonaten errichtet werden mußte, ist die Ausführung in Eichenholzfachwerk gewählt worden, die selbst bei dem in jenem Winter besonders anhaltend auftretenden Frost ein ständiges Weiterarbeiten ermöglichte. Am 5. Juli 1902 wurde das fertige Gebäude dem Betrieb übergeben. Die Ausbildung des Fachwerks im Aeußern lehnt sich in freier Weise den mitteldeutschen Formen an. Im Innern zeigt nur die Wartehalle eine etwas reichere Ausbildung, sowie der Flur, dem ein galerieartiger Raum ebenfalls zum Aufenthalt des wartenden Publikums vorgelagert ist. Die Wände sind in diesen Räumen mit Holz bekleidet, die Decken haben sichtbare Holzverschalung mit aufgenagelten Leisten; bunte Bleiverglasungen, handgeschmiedete Tür- und Fensterbeschläge und im Warteraum ein in die Füllungen der Vertäfelung eingesetzter Stuckfries vollenden die Ausstattung.
Die Inhalationsräume sind nur in den unteren Teilen der Wände mit Oelfarbe, im übrigen mit Leimfarbe gestrichen. Alles Holzwerk (Pitschpine) ist geölt und matt lackiert.“


Inhalationsapparat
Inhalationsapparat
aus: The pharmacopoeia of the Hospital for Diseases of the Throat and Chest (Golden Square): based on the British pharmacopoeia (1881), S. 98.

Die Technik im neuen Inhalatorium Bad Nauheim

„Das Gebäude ist unterkellert; das Kellergeschoß ist mit Schlackenbetongewölben zwischen Trägern überwölbt. Im Erdgeschoß liegt Linoleum auf Korkplattenunterlage über Zementestrich. Zur Benützung an kühlen Tagen und für etwa einzurichtende Winterkur ist eine Niederdruckdampfheizung bestimmt. Die Lüftung geschieht in einfachster Weise durch natürliche Frischluftzuführung und künstliche Abführung in Kanälen, die sich im Dachboden vereinigen und zu einem Entlüftungsdachreiter führen, einzurichtende Winterkur ist eine Niederdruckdampfheizung bestimmt. Die Lüftung geschieht in einfachster Weise durch natürliche Frischluftzuführung und künstliche Abführung in Kanälen, die sich im Dachboden vereinigen und zu einem Entlüftungsdachreiter führen, wo ein elektrisch betriebener Sauger zur Entfernung der Luft aufgestellt ist. Da die Abluft stark solehaltig ist, sind die Kanäle aus Holz gefertigt.
Das Gebäude besitzt ferner eine elektrische Licht- und Kraftanlage mit vier ein- bis eineinhalbpferdigen Motoren (vom staatlichen Elektrizitätswerk gespeist), Gas- und Wasserleitung, sowie die zum Betrieb der Inhalationsapparate erforderlichen Maschinen, Pumpen, Druckluft- und Solleitungen.“


Flur neues Inhalatorium Bad Nauheim
Flur Richtung Wartehalle im neuen Inhalatorium Bad Nauheim
aus: Anonym: Das neue Inhalatorium in Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 25 (1904) S. 160-161, hier S. 160.

Das neue Inhalatorium: seine Apparate und die Kosten

„Die Grundrißanordnung ist so getroffen, daß eine spätere Erweiterung ohne Schwierigkeiten möglich ist; die jetzige Wartehalle ist als Mittelbau gedacht. Beim Eingang liegt links ein Raum zur Aufbewahrung der Inhaliermäntel und -Schürzen, rechts ein Verwaltungsraum, beide vom Warteraum zugänglich, dem sich auf der gegenüberliegenden Seite die beiden Räume für freie Solzerstäubung anschließen. Die hier an der Decke aufgehängten Apparate erfüllen den ganzen Raum mit fein zerstäubter Flüssigkeit, dem sogen. Zerstäubungsnebel. In dem größeren befindet sich ein Wassmuth-Apparat mit zwei Düsen, im kleineren zwei von Heyer in Bad Ems gelieferte Apparate mit je drei Zerstäuberröhren. Der auf der rechten Seite der Wartehalle sich anschließende erweiterte Flur vermittelt den Zugang zu den Räumen für Einzelinhalation. In zweien dieser Räume sind zusammen 18 Sitzplätze mit Apparaten verschiedener Art für Solinhalation von Göbel und Heyer (Bad Ems) ausgestattet; zwei weitere Räume nehmen 12 pneumatische Apparate von Göbel auf, während ein letzter Raum drei Sauerstoffapparate enthält.
Die elektrischen Antriebsmaschinen und Pumpen stehen im Kellergeschoß. Im Dachgeschoß ist eine Wohnung für einen verheirateten Bediensteten des Bades untergebracht. Die Baukosten haben betragen einschließlich der Kosten für maschinelle Einrichtungen, Inhalationsapparate, elektrische Zuleitung (etwa 650 m Erdkabel), für die Möbel und die Bauleitung, sowie einschließlich aller Nebenanlagen rund 132 000 Mark, wovon auf die reinen Baukosten rund 75 000 Mark, auf die maschinellen Einrichtungen rund 40 000 Mark kommen. Für 1 qm bebauter Fläche berechnen sich die reinen Baukosten zu 171,19 Mark, für 1 cbm umbauten Raumes zu 18,95 Mark.
Mit der Ausarbeitung der Entwurfsskizzen und der Bauleitung war das Großh. Hochbauamt in Friedberg, Vorstand Bauinspektor Baurat Groß beauftragt, dem hierfür der Großh. Regierungs-Baumeister Jost zugeteilt war.“[2]


[1] *) Näheres über Inhalationsbebandlung und -Apparate: Dr. F. Peuzoldt u. Dr. R. Steuzimg, Handbuch der speziellen Therapie innerer Krankheiten. Dritter Band.
[2] Anonym: Das neue Inhalatorium in Bad Nauheim, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 25 (1904) S. 160-161.


Inhalatorium Bad Nauheim Pfeilerreihen und Jahresangaben
Die von Jost angesprochenen Pfeilerreihen im Innern des Inhalatoriums
Foto: Hessisches Landesarchiv Darmstadt R4 26270

Mehr Bilder und Informationen zum Inhalatorium von Bad Nauheim finden Sie auf dem Pinterest-Board “Bad Nauheim – Jugendstil – Inhalatorium”.


Beitragsbild:
Das “neue Inhalatorium” in Bad Nauheim
Foto: A. Kircher-Kannemann, CC-by SA 4.0


Dr. Anja Kircher-Kannemann
Dr. Anja Kircher-Kannemann

Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen

3 Kommentare

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert