Bad Nauheim im Bäder-Almanach 1901
Klappern gehörte schon immer zum Handwerk und klappern in Bezug auf ein Kurbad hieß: Werbung machen. Werbung in eigener Sache und das ging am Besten in einschlägigen Medien wie dem Bäder Almanach. Herausgegeben wurde der seit 1882 und beinhaltete fachkundige Beiträge zu allen Kurbädern im deutschsprachigen Bereich. Selbstredend war darin auch Bad Nauheim vertreten. Im Bäder-Almanach des Jahres 1901 stellte die Großherzogliche Badedirektion den Kurort und sein Angebot vor. Dazu gehörten nicht nur die vor Ort möglichen Therapien, sondern auch das Unterhaltungsprogramm. Das war für die Gäste genauso wichtig wie der Therapieaspekt. Man wollte die Zeit im Bad eben auch genießen. Der Kuraufenthalt in jener Zeit, das war der Urlaub von heute. Man verband das Gesundwerden oder auch die Gesunderhaltung mit Wellness, Freizeit und Erholung. Ein Rundum-Wohlfühl-Paket mussten die Kurorte der Belle Époque deshalb bieten und dazu gehörten eben nicht nur gute Therapien und herausragende Ärzte, sondern eben auch Freizeit und Vergnügen. Die Bäderwelt war eben eine Welt voll Wasser und Vergnügen – zumindest für die, die es sich leisten konnten und das stellte die Bäder-Direktion Bad Nauheim im Bäder-Almanach des Jahres 1901 ausführlich dar:
Bad Nauheim im Bäder-Almanach von 1901
Bad Nauheim,
Eisenbahnstation der Main-Weserbahn Kassel—Frankfurt a, M., im Grossherzogthum Hessen, 140-200 m über dem Meer, am Ostabhange des Taunus, Mittlere Jahrestemparatur +7,78° R. mittlerer Barometerstand 750 mm. Kräftige Luft, besonders in der Nähe der ausgedehnten Gradirwerke der Saline. Der 75 ha grosse, alle Kur- und Badeanstalten, sowie den 8 ha grossen Teich einschliessende, prachtvolle Park bietet schöne, schattige Spaziergänge und kühlen Aufenthalt selbst bei heissen Sommertagen. In der Nähe ein Hochwald mit mächtigem Eichenbestand. Der allgemeine Gesundheitszustand ist sehr gut. Frequenz: 22 0OO Gaste. *Bäderabgabe vom 1. April bis 15. November, im Konitzky-Stift das ganze Jahr, Saison vom 1. Mai bis 30. September.
Kurmittel, Ärzte und Therapien in Bad Nauheim 1901
Kurmittel: Die drei zur Bereitung der Bäder dienenden salinischen, an freier und halbgebundener Kohlensäure überaus reichen und mächtigen Quellen No. 12 (Friedrich Wilhelms-Quelle), No. 7 (Grosser Sprudel) und No. 14 (Ernst-Ludwigs-Quelle) enthalten unter Anderem in grösserer Menge: Chlornatrium, Chlorlithium, Chlorkalium, Chlorcalcium und doppelkohlensauren Kalk. Sechs Badehäuser mit zusammen 260 luftigen geräumigen Badezellen. Bis Anfang der Saison 1901 wird noch ein Badehaus mit 73 Wannen fertiggestellt sein, Bäderformen: Kohlensäurehaltige Thermalbäder, gewöhnliche kohlensäurefreie Soolbäder mit und ohne Zusatz von Mutterlauge, Sprudelbäder mit natürlicher Wärme, völlig reiner unzersetzter Soole mit vollem Kohlensäuregehalt, Strombäder, Sprudelstrombäder und Wellenbäder (Besonderheit von Bad Nauheim), Sitzbäder, Süsswasserbäder, Douchebåder, Kaltwasserbäder, Moorbäder, Milch- und Molkenanstalt eines Appenzellers, Inhalationssaal für zerstäubte Soole; Massiren; schwedische Heilgymnastik. Medico-mechanisches Zander-Institut für mechanische und manuelle Heilgymnastik, Massage und Orthopädie. Ozonreiche, den Lungen wohlthätige Gradirluft. Traubenkur. Zu Trinkkuren dienen zwei salinische Quellen (Karlsbrunnen und Kurbrunnen) und ein alkalischer Säuerling (Ludwigsquelle).
Indikationen: Skrophulose, Rachitis, Gicht, Rheumatismus (sowohl alle Formen von chronischem Muskel- und Gelenkrheumatismus, als die nach akutem Gelenkrheumatismus zurückgebliebenen Beschwerden), Herzkrankheiten, Krankheiten des Rückenmarks und seiner Häute, Neuralgien, Neurasthenie, Frauenkrankheiten, chronische Katarrhe der Schleimhäute, Krankheiten der Knochen, der Knochenhäute und der Gelenke.
Die Badeanstalten sind Staatseigenthum und stehen unter der Verwaltung der Grossherzoglichen Badedirektion.
Aerzte (nach dem Antritt ihrer hiesigen Praxis): Abée, Grödel, Müller, Schott, Credner, Friedländer, Baur, Bruck, H. Stoll, Hirsch, Beste, Langebartels, Gittermann, Schuster, Schröder, Jankowski, Steinberg, Strüh, Gräupner, Wachenfeld, Grote, Siegfried, Bittelmann, Kuwert, Lilienstein, Burwinkel, Frick, Hänel, Homeyer, Achert, Reissner, Phil. Stoll, May, Handwerk, Scheffer, Schoenewald, Reinewald, Schwalb, Hahn, Hohkamp.
Für schwedische Heilgymnastik und Massage: Kindmark.
Hotels, Kurtaxe und Vergnügen
Hotels: Alter Kursaal, Europe, Bellevue, Park-Hotel, Kaiserhof, Sprudel-Hotel, Augusta Victoria, Grand Hotel Imperial, Hotel Bristol, Reichshof, und Restaurationen (Kursaal, Burk etc.), ebenso Wohnungen von 6—50 M. pro Zimmer und Woche.
Kurhospital für arme und unbemittelte Erwachsene, Elisabethhaus für Kinder bis zu 14 Jahren und israelitische Kinderheilanstalt für arme Kinder.
Unterhaltungen: Täglich dreimal Konzert der Kurkapelle, Theater, Künstler- und Militärkonzerte, Bälle etc. Das Kurhaus zählt zu den schönsten Deutschlands, mit Konzert- und Tanzsaal, grossem Gesellschaftssaal, Lesesaal, Wirthschaftsräumen, grossem und kleinem Speisesaal und mit anschliessender gedeckter Halle zum Aufenthalt im Freien bei Regenwetter. Spielplatz für Croquet, Lawn-tennis etc.; Gondelfahrten auf dem Teich, Fischerei. Spielplatz für Kinder.
Kurtaxe für die Saisondauer 15 M. die Person, bei Familien für die erste Person 15 M., für die zweite 5 M., für jede folgende 4 M.; Kinder und Dienstboten sind frei. Ebenso Aerzte für ihre Person.
Bäderpreise wegen Mannigfaltigkeit der Bäderformen sehr verschieden. Badeordnung. Zum Erhalten billigerer Bäder (wie auch ermässigter Kurtaxe) bedarf es eines glaubhaften Nachweises über den Stand des Einkommens und sonstiger Verhältnisse.
Gottesdienst: evangelisch, katholisch, israelitisch, englisch.
Ausflüge in die nächste Umgebung (Johannisberg, Teichhaus, Waldrestauration, Friedberg etc.), wie in die weitere Umgegend (Winterstein, Ziegenberg, Steinfurth etc.). Das Droschkenwesen ist polizeilich geregelt.
Prospekte in allen Sprachen durch den Kurdirektor; Wohnungsliste, Badesalze,
Nauheimer Mutterlauge durch Grossh. Bade-Direktion.
Bäder-Almanach. Mittheilungen der Bäder, Luftkurorte und Heilanstalten in Deutschland, Oesterreich, der Schweiz und den angrenzenden Gebieten für Aerzte und Heilbedürftige, 8. Aufl. Berlin 1901, S. 291 (Bad Nauheim).
Beitragsbild:
Flanieren auf der Kurhausterrasse um 1900 – so hatte es die Bäder-Direktion Bad Nauheim im Bäder-Almanach 1901 beschrieben
– historische Postkarte
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen