Der „Große Sprudel“ und das Weihnachtswunder von Bad Nauheim
Es gibt ja solche Geschichten, die wirklich völlig unglaublich klingen und tatsächlich wie ein Wunder wirken, vor allem, wenn sie dann auch noch rund um Weihnachten geschehen. Das sind solche Geschichten, die wohl noch in hundert Jahren erzählt werden, so wie die Geschichte vom „Weihnachtswunder“ in Bad Nauheim rund um den „Großen Sprudel“.
Bald jährt sich dieses Weihnachtswunder zum 175. Mal und noch immer erzählen die Bad Nauheimer mit Stolz und Begeisterung von diesem so unglaublich scheinenden Ereignis. Der Grund dafür ist einfach: Ohne dieses Weihnachtswunder würde es Bad Nauheim – die Gesundheitsstadt – so wie wir sie heute kennen, gar nicht geben.
Was in jener Nacht vom 21. auf den 22. Dezember 1846 geschah, das erzählte Christian Waas in seinem Buch „Hundert Jahre Hessisches Staatsbad Bad Nauheim 1835-1935“.
Der „gute Geist“ von Bad Nauheim – Badearzt Friedrich Wilhelm Bode
Bevor Waas mit der Geschichte jener wundervollen Nacht beginnt schickt er zunächst einige Worte über den Man voraus, der für die Geschicke Bad Nauheims mindestens genauso wichtig geworden ist wie das Wunder um den „Großen Sprudel“. Die Rede ist vom Salinen- und Badearzt Friedrich Wilhelm Bode, der als erster die Bedeutung der Nauheimer Quellen erkannte und über Jahre hinweg gegen alle Widerstände versuchte das kleine beschauliche Söderdorf zu einem anerkannten Heilbad zu machen:
„Seitdem Nauheim Bad ist, ist Bode der Mann von Nauheim“, so urteilte mit vollem Recht später ein Franzose. In unablässigem Kampfe gegen die Rückständigkeit der Kasseler Regierung, insbesondere gegen den Geiz, die Unbelehrbarkeit und Beschränktheit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm mußte Dr. Bode jeden geringsten Fortschritt, jede geringste Bewilligung durchfechten. Ihm vor allem verdankt Nauheim die Zulassung einer Apotheke und die Einrichtung einer Postagentur sowie die Verlegung des Amtsgerichts von Dorheim nach Nauheim. Erst 1848 löste sich der Druck von oben etwas durch die Revolution; und in kurzem wurden die schon längst fälligen und von Bode immer wieder geforderten drei neuen Badehäuser errichtet/ deren Bau nun auch der böse Mann in Kassel nicht mehr hindern konnte; denn eine noch höhere Macht als Serenissimus hatte inzwischen eingegriffen. Mit vollem Recht steht auf dem großen Sprudelbecken: „Auf Gottes Geheiß aus der Tiefe geboren.“
„Anno 1846!“ – Das Wunder geschieht
„Anno 1846! Es weihnachtete schon recht in Nauheim. Der letzte Kurgast war längst wieder mit der Postkutsche nach Hause gereist. Man war wieder schön gemütlich unter sich und schlief in seinem Bett oder hinter dem Ofen. Es war die für Nauheim ewig denkwürdige Wintersonnenwendnacht vom 21. auf 22. Dezember 1846. So oft das Folgende auch schon wiederholt worden ist, Dr. Bodes Aufzeichnung über sein Erlebnis ist und bleibt der klassische Bericht über die Geburtsstunde des großen Sprudels. „Die Nacht vom 21. zum 22. Dezember 1846 war eine der schaurigsten, die Nauheim jemals erlebt hat. Ein orkanartiger Sturm heulte durch die Lüfte, rüttelte an den Häusern, fegte die Ziegel von den Dächern und ließ die Erde erbeben.“ (In der Tat ist ein Erdbeben in dieser Nacht in der ganzen Umgegend verspürt worden.) „Ich war eben aufgestanden, da pochte es an mein Fenster und vor demselben rief, fest in den Mantel gewickelt, der Salineninspektor Dunker: Kommen Sie, Doktor, wir haben eine neue Quelle! — Woher eine Quelle? Es wird ja doch gar nicht gebohrt.— Doch! Kommen Sie, kommen Sie schnell! erwiderte Dunker und stürmte weiter.“ So eilten die beiden Männer zu jener Stelle, die wir nun ja nicht weiter zu bezeichnen brauchen; sie hieß und war damals die Gänsewiese. Und dort, wo die fast vergessene Röhre der vor fünf Jahren eingestellten Bohrung VII, mit Holz verdeckt, sonst friedlich aus der Erde ragte, zischte jetzt mit Getob‘ und Gebraus‘ ein mächtiger, weißer Salzwasserstrahl heraus, der die ganze Gänsewiese bereits in eine dampfende und wogende Salzsee verwandelt hatte. Als erster soll übrigens nach Nauheimer Überlieferung – und Überlieferungen sind heilig – der Gemeindeschäfer Schneider noch in der Nacht das Wunder gehört und gesehen haben. Er hütete seine Schafe am Hang jenseits der Straße, wo man damals an der Eisenbahn baute. Er soll dann die Nauheimer mit der frohen Botschaft geweckt haben.
Niemals haben sie eine gehabt, als die von 1846; denn ihnen war Heil und Freude widerfahren, ihnen und der ganzen Menschheit zugleich, so wie einst in der ersten Weihenacht der Engel den Hirten verkündigt hatte : „Siehe, ich verkündige Euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird Ehre sei Gott in der Höhe!“
Wer je hierher kommt/ gedenke dieser schönsten Weihnacht Bad-Nauheims, wenn er vor dem großen Sprudel steht und ihn sinnend betrachtet.“
Soweit die märchenhafte Schilderung Christian Waas‘ zur Geschichte des „Großen Sprudels“ von Bad Nauheim.
Wilhelm Jost und die Inszenierung des heilenden Wassers
„Und immer steigt und fällt der Quell‘
und füllt die weite Brunnenschale“
So heißt es bei Christian Waas am Ende seiner Schilderung des Weihnachtswunders von Bad Nauheim.
Eine Brunnenschale, genauer gesagt eine Fassung für den Sprudel gab es schon bald. Aber schon bald war auch sie nicht mehr up to date. Mit dem Neubau des Sprudelhofs in den Jahren 1905 bis 1911 bzw. 1912 gab es auch eine neue Brunnenfassung.
Wilhelm Jost, der Architekt der Bad Nauheimer Jugendstilanlagen maß den Sprudeln und ihrer Fassung besondere Bedeutung zu. Im Zentralblatt der Bauverwaltung schrieb er im Jahr 1911:
„Eine breite Freitreppe führt den Fremden zwischen beiden Verwaltungsgebäuden in das tiefer liegende Badegebiet, und zwar durch einen Vorhof auf den großen Sprudelplatz. Hier liegen die drei warmen kohlensäurereichen Quellen, die Sprudel VII, XII und XIV, deren Heilkraft jährlich von etwa 30 000 Fremden erprobt wird. In ihnen sind alle Werte in Bad Nauheim begründet, ihnen sollte deshalb bei der Neuordnung der Kur- und Badeanlagen besondere Sorgfalt gewidmet werden. Die ganze Badeanlage bildet in diesem Sinne gewissermaßen eine architektonische Fassung der Quellen.“
Zentralblatt der Bauverwaltung Nr. 103 (1911)
Die ursprünglichen Pläne zur Umgestaltung des Sprudelhofs zeigen einen anderen Entwurf für die Brunnenfassung als die, die dem heutigen Besucher hier begegnet. Offenbar gefiel die von Jost entworfene Fassung nicht allen am Neubau beteiligten Personen. So kam es, dass ein anderer mit der Einfassung der Sprudel beauftragt wurde: der Künstler Heinrich Jobst.
In der von Jobst gestalteten Brunneneinfassung vereinen sich Neoklassizismus und später Jugendstil. Die steinerne Einfassung des Großen Sprudels von Bad Nauheim und des 1855 erbohrten Friedrich Wilhelm-Sprudels besteht aus zwei runden Becken. Zu diesen führen auf zwei Seiten Freitreppen mit einem Zwischenpodest hinauf. Beide Freitreppen sind von je einem männlichen und einem weiblichen Mischwesen bewacht.
Ein kluger Schachzug von Jobst war es die Freitreppen nicht in die Hauptachse des Sprudelhofs zu legen, sondern sie um 90° zu drehen. So muss jeder Besucher des Sprudelhofs, magisch angezogen von den schon weithin sichtbaren Fontänen, bewusst um die Einfassung herumlaufen und nimmt so die Bildwerke wahr, die das für Bad Nauheim so wichtige Heilwasser umgeben. Ja und mehr noch: so hat der Besucher auch die Möglichkeit die die Brunneneinfassung umgebende Spruchleiste zu lesen und das Heilwasser zu würdigen:
„AUF GOTTES GEHEISZ AUS DER TIEFE GEBOREN DER LEBENDEN LEIDEN ZU LINDERN ERKOREN“
Beitragsbild:
Sprudelhof und „Großer Sprudel“ Bad Nauheim um 1910
historische Postkarte
Promovierte Historikerin, Autorin, Kulturvermittlerin und Bloggerin.
Themen: digitale Kulturvermittlung – #digKV – Social Media – Storytelling – Geschichte(n) erzählen
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